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ARABISCHNORMANNISCHES PALERMO UND DIE KATHEDRALEN VON CEFALÙ UND MONREALE

icona patrimonio sito UNESCO
SERIELLES WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 1487
VERLEIHUNGSSTADT: BONN, DEUTSCHLAND
VERLEIHUNGSJAHR: 2015
BEGRÜNDUNG: Mit ihrer Mischung aus byzantinischer, islamischer und katholischer Kunst sind die arabisch-normannischen Monumente eine Ikone des kulturellen Synkretismus und verkörpern den multiethnischen Geist Siziliens. Die stilistische Synthese verschiedener künstlerischer und architektonischer Modelle führte zu neuen räumlichen und dekorativen Konzepten, die sich im Mittelmeerraum verbreiteten.

„[...] die grandiose Moschee war einst eine christliche
Kirche [...] Es fällt dem menschlichen Verstand schwer,
sich ihr Aussehen vorzustellen, aufgrund ihrer
hervorragenden Verarbeitung, der inspirations- und
fantasiereichen Motive, der vielfältigen Bilder, der
goldenen Friese und der kalligraphischen Webereien.“

Karte von Roger, Idrisi

Man schrieb das Jahr 1138, als der Reisende und Geograf Idrisi die Wunder des kosmopolitischen Palermo rühmte. Die Kulturen tauschten sich aus. Islamische Handwerker bauten Kirchen für christliche Gönner, das arabische Genoardo hüllte die königlichen Residenzen in den Schatten der Palmen und den Duft der Zitrusfrüchte. Heute wie damals flüstert das Knäuel von Zinnen, Kuppeln, wabenförmiger Zier, Spitzbögen und Vergoldungen exotische Worte in die Ohren der Reisenden, die sich im märchenhaften Charme des arabisch-normannischen Erbes Siziliens verlieren. Das Wortpaar „arabisch-normannisch“ bezeichnet eine Reihe von Bauwerken, die zwischen 1130 und 1194 errichtet wurden, aber nicht nur das: Es fasst in wenigen Buchstaben das Wesen einer Welt zusammen, in der die islamische, die byzantinische und die romanischlateinische Kultur zu einem untrennbaren Ganzen verschmolzen sind und unauslöschliche Spuren in der Landschaft und Seele Palermos hinterlassen haben. So Nicoletta Agnello Hornby in Siamo Palermo: „Im heutigen Palermo leben Menschen aus der ganzen Welt und aller Religionen [...]. Ich bestehe darauf, dass es in Palermo keinen [Rassismus] gibt: Wir sind an die Vielfalt gewöhnt und haben gelernt, zu tolerieren und toleriert zu werden“.

NICHT ZU VERPASSEN

„Er bedeckt den Tag mit dem Schleier der Nacht, die ihm eifrig folgt; und die Sonne und den Mond und die Sterne hat er erschaffen, unterworfen zu seinem Befehl.“

Wir tauchen in den Synkretismus des arabischnormannischen Palermo ein und beginnen mit dieser Sure aus dem Koran, die in arabischen Schriftzeichen im Herzen des christlichen Palermo eingraviert ist: dem Dom.
Google Maps
Wir bewundern den
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Dom von außen, wo sich die Epochen in lebhaften Schnörkeln verflechten: Im Laufe der Jahrhunderte wurden dem ursprünglichen arabischnormannischen Wunderwerk Portale aus dem 15. Jh., aus Majolika geflieste Kuppeln und ein Glockenturm hinzugefügt. Anschließend wenden wir uns dem
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Königspalast (oder Palazzo dei Normanni) zu, dem Sitz der Stadtmacht vom 9. Jh. bis heute, und gehen durch die königlichen Gemächer zum Wunderwerk der Palatin-Kapelle. Die von Roger II. in Auftrag gegebene Kapelle verbindet den Grundriss einer lateinischen Basilika mit maurischer Architektur und byzantinischer Mosaikkunst. Die Augen noch geblendet vom Glanz der Mosaike, flüchten wir uns in die Spiritualität der nahe gelegenen
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Kirche San Giovanni degli Eremiti Die fünf roten Kuppeln, die den kubischen Bau überragen, erinnern an die typisch arabische Kombination von „Würfel und Kugel“, das Symbol des Zusammentreffens von Erde und Himmelskugel. Im Inneren bezaubert die mystische Stille des Gartens, die sich mit der Perspektive der Spitzbögen des Kreuzgangs harmoniert. Mit dem Auto oder dem Bus erreichen wir den
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Palazzo della ‚Zisa‘ was aus dem Arabischen al-aziz stammt und ‚prächtig‘ bedeutet, der die strenge Erhabenheit einer Festung mit dem exotischen Charme eines Märchenhauses vereint. Nächstes Ziel ist der „goldene Tempel“: Der
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Dom von Monreale, der in seiner gesamten Architektur nach den Mosaiken ausgelegt ist – alles scheint auf die Ikone des Christus Pantokrator zuzulaufen. Um die Tour aller arabisch-normannischen Stätten zu vervollständigen, brauchen wir einen zweiten Tag: Wir beginnen an der Piazza Bellini, wo wir die
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Kirche San Cataldo mit ihren roten Kuppeln und die bezaubernde
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Martorana (Kirche Santa Maria dell‘Ammiraglio) mit einem der ältesten Mosaikzyklen der Stadt finden. Der Bahnhof ist nicht weit entfernt und nach etwa einer Stunde Zugfahrt erreichen wir
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Cefalù. Der Dom mit seinen beiden normannischen Türmen, die von zwei bewusst unterschiedlich gestalteten Giebeln (der eine Symbol der Kirche, der andere des Reichs) aus dem 15. Jh. überragt sind, beherbergt ein reiches Mosaikerbe. Auf dem Rückweg nach Palermo, vielleicht nach einem Zwischenstopp am berühmten halbmondförmigen Strand von Cefalù, bleibt noch Zeit, um bei der
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Admiralsbrücke in die Geschichte einzutauchen: Es bedarf einer gewissen Vorstellungskraft, um ihre Monumentalität zu begreifen, aber dieses bucklige Bauwerk aus Stein wurde im 12. Jh. von arabischen Handwerkern in Zusammenarbeit mit normannischen Ingenieuren errichtet.

„Die normannischen und angevinischen
Eroberer hinterließen diesem Volk viel mehr
als ihre Kathedralen von Cefalù und Monreale:
Sie hinterließen ihm eine ganze Tradition
von Heldenlegenden, ein Volk von Paladinen,
deren naiv-bunte Bilder noch vor kurzem
Dorfkarren schmückten und die ihre Themen
für das sizilianische Marionettentheater
lieferten.“

En pèlerin et en étranger, Marguerite Yourcenar

Das Marionettentheater, das zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO gehört, erzählt Geschichten von Liebe und Kampf in einem fröhlichen Durcheinander voller Wendungen. Die gut gekleideten und bewaffneten Pupi sind Paladine des Christentums im Dienste Karls des Großen oder Sarazenen. Die weiblichen Figuren reichen von der schönen Angelica, die Roland und anderen Rittern lieben, bis zur dunklen Gemma della Fiamma, Prinzessin und Kriegerin. Das Marionettentheater hat Generationen von Sizilianern mit seinen Cunti (Geschichten) begeistert. In Palermo kann man noch heute Aufführungen von professionellen Puppenspielern sehen, die ein Handwerk pflegen, das über Jahrhunderte vom Vater an den Sohn weitergegeben worden ist.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„ROSALIA WAR EIN KLEINES MÄDCHEN AUS PALERMO. SIE WAR FRÖHLICH, LEBHAFT, IMMER BEREIT ZU SPIELEN UND DURCH DIE GASSEN DER STADT ZU RENNEN.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 51
Rosalia aus der Erzählung Rosalia Picciridda von Laura Lombardo ist keine andere als die von den Einwohnern Palermos geliebte „Santuzza“, die die jungen Reisenden an verschiedenen Stellen der Stadt mit ihrer nicht immer auf den ersten Blick beruhigenden Ikonographie überrascht... Ihr werdet sie zum Beispiel in der Vorhalle der
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Kathedrale, dem Ausgangspunkt dieses Rundgangs, sehen, während sie... auf eine Frau tritt. Keine Angst: In der Absicht des Bildhauers verkörpert die unglückliche Frau die Pest! Von der Kathedrale aus machen wir einen kleinen Abstecher zur Salita Artale, wo einige sizilianische Karren ausgestellt sind, die Franco Bertolino in seinem
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Werkstatt Museum handbemalt hat. Wir kehren in die Via Vittorio zurück, um eine weitere magische Werkstatt zu entdecken: In den Räumen der
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Associazione Agramante können wir dem Meisterpuppenspieler bei der Arbeit zusehen, wie er den hölzernen Körper, der sich unter dem Panzer der Puppen verbirgt, modelliert. Seine Werke „spielen“ im nahe gelegenen
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Teatro Argento, wo jeden Tag um 17.30 Uhr eine Aufführung stattfindet. Weiter geht es zur Albergheria, wo wir die mit Wappen, Rüstungen und fürstlichen Möbeln ausgestatteten Räume
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Palazzo Conte Federico besichtigen, in dessen Innenhof ein Oldtimer ausgestellt ist. Wir schlendern durch den farbenfrohen
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Vicolo Cagliostro, dessen Wandmalereien eine Hommage an die schelmenhafte Figur des Grafen Cagliostro, Alchimist und Abenteurer, sind, um dann einen Blick in das Chaos von
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Ballarò mit seinen überquellenden Warenständen zu werfen, bevor wir umdrehen und in die Via Casa Professa einbiegen. Entlang der Straße liegt die
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Chiesa del Gesù deren Marmortheater kleine barocke Meisterwerke sind. Auf der
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Piazza Bellini, angekommen, betreten wir den prächtigen Kreuzgang des Klosters Santa Caterina, um uns den Tag mit Köstlichkeiten aus der Konditorei „I segreti del chiostro” zu versüßen. Dann wenden wir uns dem Meer zu und machen zwei unumgängliche Stopps:
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Piazza Marina, um den riesigen Ficus-Baum zu bewundern, der Kindern erstaunen wird, und das
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Museo Internazionale delle Marionette Antonio Pasqualino, dessen bezaubernde Sammlung die Vorstellungswelt verschiedener Kulturen erzählt. Am Foro Italico angekommen, bietet der
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Parco della Salute einen Moment der Freizeit und des Sports für alle. Von hier aus spazieren wir entlang der Strandpromenade zum
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Botanischen Garten, einer Oase mit exotischen Bäumen, die die Kinder gefahrlos erkunden können, und kehren dann ins Zentrum zurück (am besten mit einem Fahrzeug), um vielleicht mit einer Aufführung im Marionettentheater der
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Compagnia dei Figli d’Arte Cuticchio einen krönenden Abschluss zu finden.
sito UNESCO nr. 51 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen, um den multikulturellen Geist Palermos zu verstehen.

  • Karte von Roger, Idrisi (12. Jh.). Das von dem Geografen Idrisi im Auftrag von König Roger verfasste Werk zeigt das Erstaunen, das das arabisch-normannische Palermo bei den Reisenden der damaligen Zeit hervorrief: „Palermo ist eine schöne und riesige Stadt, der schönste und prächtigste Aufenthaltsort, geschmückt mit so viel Eleganz, dass die Reisenden sich aufmachen, um die Schönheit der Stadt zu bewundern“
  • La luce e il lutto, Gesualdo Bufalino (1990). In diesem Band bietet er uns einen Schlüssel zur Deutung des Ursprungs der vielen Seelen der Insel und ihres Multikulturalismus: „Denn Sizilien hatte das Glück, im Laufe der Jahrhunderte als Scharnier zwischen der großen westlichen Kultur und den Versuchungen der Wüste und der Sonne [...], den Temperamenten des Gefühls und der großen Hitze der Leidenschaft zu fungieren“.
  • En pèlerin et en étranger, Marguerite Yourcenar (1990). In dieser Sammlung von Artikeln, die zwischen 1934 und 1987 über Sizilien, den Kreuzungspunkt der mediterranen Zivilisationen, geschrieben wurden, würdigt sie die Mischung von Kulturen, Religionen, Künsten und Küchen.
  • La sposa normanna, Carla Maria Russo (2004). Diese romanhafte Biografie von Constance von Hauteville erzählt von den Machtintrigen des mittelalterlichen Siziliens und zwischen fiktiven Elementen und historischen Daten die Geschichte einer Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihren Sohn Friedrich zu schützen.
  • Palermo è una cipolla, Roberto Alajmo (2005). „Können die phantasmagorischen Details der Kapelle, die Gelassenheit des Palazzo dei Normanni, die widersprüchliche Eleganz des Doms dazu dienen, Sie zu beruhigen?“ Mit beißender Ironie wendet sich Alajmo an einen hypothetischen Reisenden, um ihn zu überzeugen, „den Mut zu finden“, sein Hotelzimmer zu verlassen und die Stadt zu entdecken. Indem er die gängigsten Klischees abstreitet, bringt uns der Autor dazu, uns in die Paradoxien Palermos zu verlieben.
  • Der Sultan von Palermo, Tariq Ali (2005). Dieser Roman, der in der Zeit des Übergangs von der arabischen zur normannischen Welt spielt, ist eine Reflexion über den Traum vom Zusammenleben der verschiedenen Kulturen. Im Mittelpunkt der Handlung steht das Leben von Idrisi.
  • Siamo Palermo, Simonetta Agnello Hornby, Mimmo Cuticchio (2019). Die beiden Autoren erzählen von ihrem Palermo und lassen durch Kindheitserinnerungen die vielen Gesichter und Seelen dieser Stadt zu Wort kommen.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • I tesori arabo-normanni. Una guida turistica per bambini, Carolina Lo Nero, Abbildungen von Letizia Algeri Disegni (2017). Spiele und Anekdoten machen dieses Buch einer unterhaltsamen Lektüre
  • Rosalia Picciridda Laura Lombardo, Abbildungen von Melan (2018); Il gatto con gli stivali della Vucciria, Eliana Messineo, Abbildungen von Rosa Lombardo (2018). Die Bücher des lokalen Verlags Ideestortepaper sind eine Einführung in die Stadt für junge Leser.
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