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ARCHÄOLOGISCHE STÄTTEN VON AGRIGENT

icona patrimonio sito UNESCO
WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 831
VERLEIHUNGSSTADT: NEAPEL, ITALIEN
VERLEIHUNGSJAHR: 1997
BEGRÜNDUNG: Die antike Siedlung Akragas, ein einzigartiges Zeugnis griechischer Zivilisation, wuchs und erblühte, bis sie zu einer der einflussreichsten Städte des Mittelmeerraums wurde. Die Stätte wurde von der UNESCO aufgrund ihres kulturellen Austauschs und den sehr gut erhaltenen Tempeln, die die dorische Architektur beispielhaft veranschaulichen, zum Weltkulturerbe der Menschheit ernannt.

„[…] Welche Zukunft / kann uns der dorische
Brunnen weissagen / welche Erinnerungen bringt
er hervor? Der langsame Eimer / steigt aus dem
Grund hervor und birgt / gerade bekannte / Gräser
und Gesichter. / Du, altes Rad des Abscheus, drehst
Dich / Du, die Melancholie, die den Tag vorbereitet /
in jedem Augenblick bereit, die Engelsbilder und
Wunder / zu zerstören / die Du Meer wirfst in das
schmale Licht / eines Auges! Der Telamon ist hier
nahe / dem Hades (schwüles Gemurmel, regungslos) /
und liegt im Garten des Zeus.“

Tempio di Zeus ad Agrigento, Salvatore Quasimodo

Es ist eine seit Jahrhunderten überlieferte Hymne an die Schönheit, im Schatten von Mandel-, Zitrus- und tausendjährigen Olivenbäumen, auf der felsigen Hochebene, wo 580 v. Chr. Siedler aus Rhodos und Kreta die Stadt Akragas gründeten. „Die schönste Stadt der Sterblichen“, wie sie der Dichter Pindaro bezeichnete, sollte mit ihrer Pracht all diejenigen beeindrucken, die sich ihr zu Wasser und auf dem Landweg näherten: Die architektonischen Bauwerke ragten in ihrer nüchternen Erhabenheit in den Himmel und waren von einer Stadtmauer umringt, entlang derer eine Reihe monumentaler dorischer Tempel errichtet wurden, was die Mauer zu einer heiligen Stadtmauer machte. Akragas führte Handel über die Routen des Mittelmeeres und große Denker bereicherten das kulturelle Leben der Stadt. Über seine Mitbürger schrieb Empedokles, dass sie Tempel bauten, als würde der Tod für sie nicht existieren. 406 v. Chr. wurde Akragas durch die Karthager zerstört. Ab circa 210 v. Chr. besiedelten die Römer die zerstörte Stadt und nannten sie Agrigentum. Die zerstörten Tempel wurden wieder aufgebaut und die Stadt kam zu neuer Blüte.

NICHT ZU VERPASSEN

„Das Tabernakel des Concordiatempels ist würdevoll, […] eine kleine Kammer, ein Innenraum mit weichen, porösen Wänden: ein blinder Gott, fern und doch sanft. […] Die antike Klarheit des Tals von Agrigent beruhigt, ein Land der weißen Schatten: Der Ephebe von Agrigent, sein linkes Bein ist auf der Höhe des Knies abgetrennt, sein Hals ist stark, sein Lächeln hingegen zögerlich; der Schmerz der Phädra, die auf einem Marmorrelief zwischen ihren Dienerinnen abgebildet ist.“

So beschreibt Enzo Siciliano auf dem Rückweg von einer Reise nach Sizilien, die er mit Alberto Moravia, Monica Vitti, Dacia Maraini und Cesare Garboli im Jahr 1963 unternommen hatte, das Tal der Tempel in einer Art Reisetagebuch, das in drei Folgen in der Zeitschrift Il Mondo veröffentlicht wurde. Durch die Worte Moravias inspiriert, steigen wir ins Auto, um die Schätze Agrigents und dessen Umland zu entdecken.
Google Maps
Wir beginnen mit dem ganz aus Marmor gearbeiteten Epheben von Akragas im
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Archäologischen Museum: Es empfiehlt sich, das Archäologische Museum vor der archäologischen Stätte zu besuchen, da man dort viele Informationen über die Geschichte von Akragas bekommt und unter den zahlreichen archäologischen Fundstücken auch den riesigen Telamon (Stützfigur) besichtigen kann, der Teil des Zeus-Tempels war. Unser Weg führt uns dann in das
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Tal der Tempel, über das Maupassant in seinem Werk Sizilien: schrieb: „[…] es bietet den erstaunlichsten Gesamtkomplex an Tempeln, den es je zu besichtigen gab.“ Danach fahren wir auf der Staatsstraße in Richtung Küste. Dabei kommen wir durch den Ortsteil Caos – den Geburtsort Pirandellos – sowie Porto Empedocle, die Stadt Camilleris. Wir halten an, um ein kleines Juwel zu besichtigen, die 3
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Villa Romana di Durrueli, das am Meer liegende Wohnhaus des wohlhabenden Publius Annus, ein Schwefelunternehmer, der im 1. Jh. n. Chr. lebte. Die Villa bestand aus zwei Flügeln: In einem Flügel war das Wohnhaus untergebracht, im anderen die Thermen. Im dazugehörigen Garten befand sich in der Mitte eine große Säulenhalle, von der nur noch die Säulen übrig geblieben sind. Viele Mosaikböden sind noch immer intakt. Nachdem wir in die Geschichte eingetaucht sind, ist es Zeit, ins Mittelmeer einzutauchen: Hierfür eignet sich der bezaubernde Strand im
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Naturreservat Torre Salsa, der durch den WWF verwaltet wird. Nachdem wir uns durch die Meeresbriese etwas erfrischen konnten, führen wir unsere Reise fort, wohl wissend, dass uns noch eines der Wunder des Umlandes von Agrigento erwartet, z.B. die
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Scala dei Turchi. Vom weißen Felsen kann man sehr gut beobachten, wie die Sonne im Mittelmeer untergeht. Wir verbringen den Abend in
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Agrigento, wo wir an der Via Atenea bis zur farbigen Treppe Scalinata degli Artisti (Via Neve) flanieren.

„Wie ein Leuchtkäfer fiel ich in einer
Juninacht unter eine große Pinie, die einsam
auf einem Feld Sarazenischer Olivenbäume
stand, welches am Rande einer am
afrikanischen Meer liegenden Hochebene lag.“

Informationen über meinen unfreiwilligen
Aufenthalt auf der Erde, Luigi Pirandello

Das Licht des „Leuchtkäfers“ namens Luigi Pirandello, der 1867 auf einem Feld zwischen Agrigent und Porto Empedocle in ein Haus fiel, ist nie erloschen. Als Nobelpreisträger für Literatur legte der Schriftsteller in seiner Heimat einen Grundstein. Leonardo Sciascia erklärte Folgendes: „All das, was ich zu sagen versuchte, was ich sagte, war für mich stets auch ein Diskurs über Pirandello“. Sciascia, der aufgrund seiner Kriminalromane bekannt ist, wurde 1921 in Racalmuto in der Provinz Agrigento geboren, wo man seine Bronzestatue bewundern kann. Ihm zu Ehren wurden außerdem eine Stiftung und das Haus-Museum gegründet. Die räumliche Nähe der Geburtsorte von Sciascia und Pirandello scheint auch auf geistiger Ebene zu bestehen. Selbiges gilt auch für Andrea Camilleri, dem dritten sehr erfolgreichen Autor aus der Gegend von Agrigent. „Wir, die aus dem Umland von Girgenti stammen, sind alle Anhänger Pirandellos“. Girgenti ist nichts anderes als Agrigent, denn so hieß die Stadt bis 1927. „Wenn ich Agrigent höre, dann denke ich an den Faschismus, wenn ich Girgenti höre, dann denke ich an Pirandello“, erklärte Camilleri. Viele seiner Romane spielen an Orten mit Fantasienamen. Dennoch ist es nicht schwierig, Agrigento in Montelusa und Porto Empedocle in Vigata wiederzuerkennen. Im Zentrum von Girgenti steht eine Statue von ihm, wie er an einem Bartisch sitzt.

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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„DIE KLEINE [...] GING GERNE MIT IHREM OPA AUF DEM LAND SPAZIEREN, DER OPA, DER IHR VIELE DINGE ERKLÄRTE, ZUM BEISPIEL, DASS DIE WOLKEN AUS SCHLAGSAHNE UND DIE BLÄTTER FRÜHER BLAU WAREN, DOCH AUS NEID AUF DIE FARBEN DES REGENBOGENS GRÜN WURDEN.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 25
Wie das Mädchen aus dem Märchen Magaria von Andrea Camilleri gehen auch wir zwischen Sahnewolken, grünen Blättern und goldenen Steinen durch das Tal der Tempel. Wir starten am
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Junotempel (Heratempel) mit seinen imposanten Säulengängen und dem langen archaischen Altar. Die alten Griechen vollzogen hier vor der Eheschließung einen Ritus: Das Paar, das heiraten wollte, brachte der Göttin ein kleines Lamm, das mit kaltem Wasser übergossen worden war. Zitterte das Tier, so wurde dies als schlechtes Omen bezeichnet und die Ehe wurde nicht geschlossen. Werft, bevor Ihr weiter in Richtung Westen geht, vom Hügel einen Blick auf die Reihe der Tempel, die auf dem Höhenzug stehen. Entlang der Straße, die in die Via Sacra mündet, kann man die dicken und knorrigen Stämme einiger mehrere hundert Jahre alter Olivenbäume sowie die byzantinischen Grabnischen sehen, die in einem Bogen in den Felsen geschlagen wurden. Danach kommen wir zum absoluten Star der archäologischen Stätte, dem
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Concordiatempel. Dieses ikonische Gebäude blieb seit seiner Errichtung im Jahr 430 v. Chr. fast vollständig erhalten. Dies liegt zum einen daran, dass er im 6. Jh. zu einer christlichen Basilika wurde, zum anderen am Lehmboden. Eine kleine Aufgabe für Euch Kinder: Vergleicht das UNESCO-Logo mit der Fassade des Tempels. Mit ein wenig Fantasie kann man beide Bilder übereinanderlegen, da das Logo eine grafische Reproduktion eines dorischen Tempels ist. Wir kommen dann zur Bronzestatue des zeitgenössischen Künstlers Igor Mitoraj, Der Fall des Ikarus, bevor wir uns eine kleine Pause im
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Garten der Sinne, der 2024 eingeweiht wurde, gönnen. Hier können die Kinder die Tafeln lesen, auf denen die Geschichte der Tempel erklärt wird, und zwischen den Bäumen spielen. Unser Weg führt uns dann in das Herz des Tals der Tempel, wo der
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Herkulestempel steht, der älteste Tempel Agrigents, der auf das 6. Jh. v. Chr. zurückgeht. Früher stand hier die Statue des starken und mutigen Helden. Laut Cicero war er so schön, dass die Gläubigen das Gesicht der Skulptur bis zu dessen Abnutzung küssten! Geht man über die Fußgängerbrücke, so kommt man zu den Überresten des
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Zeustempels. Es sollte der größte dorische Tempel der Antike werden, doch der Tempel wurde bei der Einnahme der antiken Stadt Akragas durch die Karthager sowie durch ein furchtbares Erdbeben zerstört. Vor den Überresten des Tempels befindet sich die Kopie des Telamons, einer 8 m hohen, sehr beeindruckenden Statue. Im
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Kolymbetra-Garten kommen wir zum Abschluss unserer Tour. Die Kinder werden es kaum glauben, doch hier stand einst ein riesiges Becken mit bunten Fischen!
sito UNESCO nr. 25 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Empfohlene Literatur, die sich zwischen Realität und Mythos befindet und die Identität Agrigents und Siziliens beschreibt.

  • La Sicilia, Guy de Maupassant (1886). Maupassant war nicht nur ein ausgesprochen talentierter Erzähler, sondern auch ein Abenteurer und Autor von Reiseerzählungen. Sein Artike Sizilien ist eine realistische und zugleich lyrische Beschreibung der Insel. Der Artikel wurde von mehreren italienischen Verlegern übersetzt und kam dann zunächst in einer Zeitschrift und später in der Gedichtsammlung Irrfahrten (1890) heraus.
  • Die Alten und die Jungen, Luigi Pirandello (1909). Der Roman beschreibt den Generationenkonflikt zwischen den Alten, die an die Ideale des Risorgimentos glaubten, und den Jungen, die nach der Einigung Italiens auf die Welt kamen. Der Konflikt endete mit einer doppelten Niederlage: Junge und Alte werden von einem Staat betrogen, der nicht dazu in der Lage ist, die Gesellschaft zu verändern.
  • Gesammelte Gedichte, Salvatore Quasimodo (1960). Für den aus Modica stammenden Dichter, einen „unfreiwilligen Exilanten“, ist Sizilien die poetische Umsetzung der Nostalgie: dem Land der Erinnerungen, die teilweise durch die Sanftheit der Kindheitserinnerungen zum Mythos werden.
  • Jedem das Seine, Leonardo Sciascia (1966). Von einer Kriminalgeschichte, die sich in Agrigento zugetragen hat, inspiriert, ist der Roman eine Detektivgeschichte, in der anhand der Geschehnisse die mafiöse Mentalität untersucht wird, welche die Gesellschaft durchdringt: Jeder ist ein Komplize, ob er es weiß oder nicht.
  • König Zosimo, Andrea Camilleri (2001). Dieser im sizilianischen Dialekt verfasste Roman ähnelt einer historischen Erzählung, in der es um den Bauern Zosimo geht, der König von Girgenti wurde. In Wirklichkeit aber ist es ein Märchen mit grotesken Untertönen.
  • Le ceneri di Pirandello, Roberto Alajmo, Illustrationen von Mimo Palladino (2008). Alajmos ironischer Schreibstil eignet sich gut, um die paradoxe Geschichte der Überführung von Pirandellos Asche von Rom nach Agrigent zu rekonstruieren. Anhand der Geschichte wird außerdem das Verhältnis der Sizilianer zum Tod untersucht.
  • Il delitto di Kolymbetra, Gaetano Savatteri (2018). In der verwunschenen Landschaft des Tals der Tempel wird ein abscheulicher Mord begangen, den die „Zufallsdetektive“ Lamanna und Piccionello aufklären müssen. Das Buch ist ironisch und sarkastisch geschrieben und sehr unterhaltsam.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Magaria(2013) und Märchen für Kinder(2023), Andrea Camilleri. Dank seiner Fantasie schrieb Camilleri auch mehrere Kindergeschichten voller Magie und Zauberei. Oft geht es in den Geschichten um das Verschwinden von Personen. Ein wenig erinnern sie an die Kriminalromane mit Commissario Montalbano.
  • La Sicilia antica. Guida archeologica per ragazzi, William Dello Russo (2015). Über Erzählungen werden die Wunder der archäologischen Stätten Siziliens den Kindern und Jugendlichen näher gebracht.
  • Il tempio di Agrigento. Meraviglie d’Italia da costruire, Stefano Trainito (2019). Das illustrierte Buch beschreibt das Tal der Tempel und die Charakteristika der griechischen Tempel. Absolutes Highlight ist das Modell des Concordiatempels, das nach einer detaillierten Anleitung gebaut werden soll.
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