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CASTEL DEL MONTE

icona patrimonio sito UNESCO
WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 398
VERLEIHUNGSSTADT: MÉRIDA, MEXIKO
VERLEIHUNGSJAHR: 1996
BEGRÜNDUNG: Die Architektur des Castel del Monte verkörpert in ihrer Verschmelzung von Kulturelementen aus Nordeuropa, der klassischen Antike und dem islamischen Orient geradezu perfekt den kosmopolitischen Geist und die wissenschaftlichen und humanistischen Interessen ihres Schöpfers Friedrich II. von Hohenstaufen.

„Man kann ihn mit einem gigantischen, in Stein
gemeißelten Kuchen vergleichen, oder, von oben
betrachtet, mit einem Eiskristall, oder mit einer
der Formen, die man in einem Kaleidoskop durch
die Reflexion von Spiegeln erhält.“

18 mal Italien, Guido Piovene

Sobald man das Castel del Monte von weitem auf einem grünen einsamen Hügel der Murgia sieht, stößt jeder beim Anblick seines unverwechselbaren Profils einen Ausruf des Erstaunens aus. Es wurde von Friedrich II. (HRR) (1194–1250), eine der charismatischsten Figuren des europäischen Mittelalters, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Sizilien und König von Jerusalem – besser bekannt unter dem Namen Stupor mundi, „das Staunen der Welt“ – in Auftrag gegeben. Friedrich II. war hochgebildet und seine vielseitigen Interessen reichten von den Wissenschaften über Sprachen und die Falkenjagd bis hin zur Astronomie. Er umgab sich mit Wissenschaftlern und Gelehrten und verkörperte so die Geisteshaltung des Humanismus, die seiner Zeit weit voraus war. Seit jeher ist das Castel del Monte Gegenstand historischer Interpretationen sowie teilweise kühner Fantasien. Gerätselt wird über die Funktion der Burg: Jagdschloss, Kalender in Stein, Königskrone, weltliche Kathedrale – die Frage konnte bis zum heutigen Tag nicht beantwortet werden. Doch selbst wenn man Geheimnissen nicht hinterherjagt, ist es praktisch unmöglich, sich der subtilen Symbolik, die jeden einzelnen Stein zu durchdringen scheint, zu entziehen. Das Achteck ist eine perfekte Verschmelzung von Kreis und Quadrat. Im Castel del Monte dreht sich alles um die Acht, eine Zahl mit unzähligen geometrischen, astronomischen und spirituellen Implikationen. Das Rätsel um diese Burg mit ihrer feierlichen und harmonischen Ausstrahlung bleibt weiterhin bestehen und wartet darauf, gelüftet zu werden.

NICHT ZU VERPASSEN

„Es ist nicht immer einfach, einen architektonischen Gedanken mit mehr mathematischer Regelmäßigkeit durchzuführen, als es hier geschah, wo das einfachste Grundsystem die edelste Durchbildung in reichen Einzelheiten empfangen hat, ohne ins Phantastische überzugehen.“

Der deutsche Historiker Ferdinand Gregorovius besuchte Castel del Monte im Jahr 1875 und war tief beeindruckt. Unseren Ausgangspunkt bildet der einzigartigste Herrensitz Süditaliens. Danach kommen wir nach Andria und Barletta, ebenfalls Orte, die eng mit der Erinnerung an den großen Stauferkaiser verwoben sind.
Google Maps
Bei Sonnenauf- und untergang nimmt der Stein des
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Castel del Monte eine orangene Farbe an. Wer weiß, ob der Kaiser, der 1250 verstarb, den Zauber dieses Ortes noch erleben durfte. Es klingt unglaublich, doch es gibt keine Dokumente, die seinen Aufenthalt in der Burg bezeugen. Der Grundriss des Castel del Monte ist ein großes Achteck. An jeder Ecke steht ein Turm mit ebenfalls achteckigem Grundriss. In der Mitte der Burg befindet sich ein achteckiger Innenhof, um den sich im Erdgeschoss und im oberen Geschoss jeweils acht Säle gruppieren. Niemand anderes als Friedrich II. von Staufen konnte die Idee einer so außergewöhnlichen Architektur gehabt haben. Die Burg vereinte die unterschiedlichen Stilrichtungen der französischen Gotik den normannischen Stil Siziliens und den des islamischen Orients zu einer einzigartigen Einheit. Die kostbaren Marmorarbeiten und die raffinierten Skulpturen sind fast verschwunden. Um sich jedoch ein Bild davon zu machen, dass das Bauwerk nicht für militärische Zwecken gebaut worden war, genügt es, einen Blick auf das fein gearbeitete Portal aus Breccia-Corallina-Marmor zu werfen, das an einen römischen Triumphbogen erinnert. Das einzige dreibogige Fenster ist nach
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Andria ausgerichtet, einer Stadt, die dem Kaiser stets ihre Treue erwiesen hat. Diese Treue ging so weit, dass auf einem der alten Stadttore ein Satz steht, den der Staufer gesagt haben soll: Andria fidelis nostris affixa medullis („Treues Andria, eingebettet in unsere Tiefen“). Um mehr über die Person des Kaisers zu erfahren, müssen wir uns in die Kathedrale begeben, in deren Krypta zwei der drei Ehefrauen Friedrichs II., Isabella II. von Jerusalem und Isabella von England, bestattet sind, die beide bei der Geburt ihres Kindes starben. Für diejenigen, die mehr über den Stauferkaiser wissen möchten, ist die ideale Etappe
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Barletta Es ist keineswegs sicher, dass das in der Burg aufbewahrte Steinpoträt, ein wunderschönes schwäbisches architektonisches Werk, das im 16. Jh. verändert wurde, die Züge des Herrschers wiedergibt. Über seinen Kunstgeschmack und seine politischen Ideale erzählt uns hingegen der Koloss von Barletta: Die Herkunft dieser imposanten Bronzestatue aus dem 5. Jh. ist seit Jahrhunderten umstritten. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass Friedrich selbst sie von Ravenna nach Apulien transportieren ließ.

„Über diesen Ort sind schon
zu viele Worte verloren
worden. Studien, Eindrücke,
Erinnerungen. Aber was sich mir
heute mit überwältigender Kraft
aufdrängt, ist die strukturelle
Verbindung dieser Mole mit
dem von Eco erdachten Kloster.
Ja, mit dem Kloster, das JeanJacques
Annaud für Der Name
der Rose gebaut hatte. Und
die kalten, aufgeschnittenen
Räume der Rippen, das
konzentrische Wandern zwischen
Wendeltreppen und Räumen
auf den verschiedenen Etagen
erinnern nicht an Friedrich
den Kaiser, sondern an den
schrecklichen Jorge.“

Viaggio in Puglia, Raffaele Nigro

Zu klein, um ein Palast zu sein, zu vornehm, um nur ein Jagdschloss zu sein, wurde die Burg vielleicht erbaut, um gelegentlich von einem kleinen Hofstaat bewohnt zu werden. Castel del Monte verfügte über große Kamine und für die damalige Zeit hochmoderne Sanitäranlagen wie steinerne Waschbecken, Abflussrohre und Abflüsse. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass es keine Kapelle gab.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„ICH WEISS NICHT, WIE DIE MAUERN VON THEBEN AUSSAHEN, DIE AMPHION DEM MYTHOS NACH ZUM KLANG SEINER ZITHER ERRICHTETE, DIE DIE STEINE DER BERGE ANLOCKTE UND LENKTE; ABER AN SCHÖNHEIT KONNTEN SIE DIE MAUERN DIESER BURG NICHT ÜBERTREFFEN [...]“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 14
In märchenhaften Tönen beschreibt der Reiseschriftsteller Mario Praz in Viaggi in Occidenteseine erste Begegnung mit Castel del Monte, eine der bizarrsten Burgen Italiens. Wenn Ihr Glück habt und eine in Italien geprägte 1 Cent-Münze noch finden – mittlerweise werden die nicht mehr hergestellt –, seht Ihr auf der Rückseite die abgebildete Burg Castel del Monte, dessen Form der eines Sternes oder eines Schneekristalls oder einer Königskrone auf einem Kopf ähnelt. Wenn Euch die Geometrie gefällt, dann werdet Ihr sehr erstaunt sein, herauszufinden, dass die Burg ausschließlich auf dem Grundriss eines Achtecks gebaut wurde. Könntet Ihr die Burg von oben betrachten, dann würdet Ihr sehen, dass der Innenhof achteckig ist, die Burg insgesamt acht Türme hat, die jeweils auch achteckig sind und dass sowohl im Erdgeschoss als auch im oberen Geschoss acht Säle sind. Und dennoch sind nicht alle Türme mit Treppen ausgestattet. Um sich zu einigen Sälen Zutritt verschaffen zu können, muss man manchmal die ganze Burg umrunden oder den Innenhof überqueren. Diese Zahlen- und Formenmagie trägt eine unverkennbare Handschrift, nämlich die Friedrich II. von Staufen, Kaiser im Mittelalter. Er ließ in ganz Süditalien zahlreiche Festungen bauen. Jedoch ist keine so geheimnisvoll wie Castel del Monte. Bevor Ihr hineingeht, achtet auf den
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Löwen am Haupteingang. Er bewacht die Burg, scheint aber kein wildes Tier zu sein. Es ist der Beginn eines Weges, auf dem Ihr Gesichter, Blumen und Personen entdecken werdet, die sich zwischen Türmen und Sälen verstecken. Ab und zu werdet Ihr, wenn Ihr nach oben schaut, eine eingmeißelte
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Blume erkennen: Dieses Element wird „Schlussstein“ genannt und dient dazu, die Bögen an der Decke zusammenzuhalten und zu verhindern, dass sie durch das Gewicht herunterfallen. In manchen Fällen wird diese Blume zu einem Kopf mit spitzen Ohren und wehenden Haaren. Versucht einen Blick in den Turm 3 zu werfen, wo ein wunderschöner Kopf mit zwei kleinen Hörnern und zugespitzten Ohren Euch zu beobachten scheint: Es handelt sich um einen
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Faun, eine Figur aus der griechischen Mythologie. Geht dann zu Turm 7: Wenn Ihr nach oben schaut, dann seht Ihr
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sechs kniende Männer aus Stein, die aussehen, als würden sie das Gewölbe einzig und allein mit der Kraft ihrer Schultern tragen! Erinnert Euch das nicht an die Form eines Regenschirms? Wer weiß, ob der Kaiser sie je erkannt hat, denn vielleicht konnte er ja aus der Ferne nicht gut sehen. Geht nun hinaus ins Freie und versucht Euch vorzustellen, wie Friedrich II. von der Turmspitze aus die Falken, die er so liebte, frei fliegen lässt und sie im Flug ihre Beute jagten.
sito UNESCO nr. 14 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen, um in die Geheimnisse der Burg einzudringen.

  • In Puglia, Ferdinand Gregorovius (1874–75). Der deutsche Historiker verliebte sich in Apulien und seine Menschen und zeichnet ein Bild von der Region vor einem Jahrhundert, nicht ohne dabei auch auf die Geschichte in der Antike einzugehen.
  • Viaggi in Occidente, Mario Praz (1955). Artikelsammlung über die Reisen des Autors in Europa und Amerika.
  • 18 mal italien, Guido Piovene (1957). Er bereiste drei Jahre lang Italien, um diese äußerst detaillierte Reportage zu schreiben, die als Klassiker der italienischen Reiseliteratur gilt. Von den Alpen bis nach Sizilien, vorbei am Castel del Monte, ist der Blick des Autors eine Einladung, unsere Wunder zu entdecken.
  • La vergine napoletana, Giuseppe Pederiali (2009). 1293 machen sich der Arzt Giovanni da Modena und der sizilianische Sarazene Yusuf Ibn Gwasi auf die Suche, um der schwäbischen Dynastie wieder zu neuem Glanz zu verhelfen, ausgehend von der wenig haltbaren Geschichte, dass Konrad von Schwaben heimlich eine neapolitanische Jungfrau geheiratet und einen Sohn mit ihr bekommen haben soll. Die abenteuerliche Reise kann nur in Castel del Monte beginnen, um sich dann in Lucera, Neapel und Melfi fortzusetzen, alle Orte, die eng mit Friedrichs Epos verbunden sind.
  • Otto. L’abisso di Castel del Monte Alfredo De Giovanni (2010). Ein fesselnder Roman voller Wendungen und Spannung. Im Mittelpunkt steht die natürliche Zahl 8, die in Friedrichs Schloss allgegenwärtig ist und deren Verliese die Protagonisten erkunden wollen.
  • Castel del Monte, Franco Cardini (2016). Einer der bedeutendsten Gelehrten des europäischen Mittelalters zeichnet ein umfassendes Bild von der Burg, das auf verschiedene Weisen interpretiert werden kann, wobei sich jede Interpretation um die außergewöhnliche Figur des Kaisers dreht.
  • Castel del Monte: la storia e il mito, Massimiliano Ambruoso (2018). Der Mittelalterforscher und Essayist zeichnet die geschichtlichen Etappen des Baus der Burg nach und veranschaulicht die unterschiedlichen Interpretationen, die im Laufe der Jahrhunderte bezüglich der Funktion der Burg dargelegt wurden.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Storia e leggenda di Federico II Daniele Giancane (2011). Das von Liliana Carone illustrierte Buch ist für Kinder geeignet, die die Figur des Kaisers, seine Leidenschaft für die Jagd und die Schlösser lieben werden.
  • Stupor mundi, Néjib (2017). Die Graphic Novel, auch ein mittelalterlicher Thriller, ist eine Reflexion über die Menschheit. Hannibal Qassim El Battuti, der berühmteste Wissenschaftler der arabischen Welt, trifft aus dem fernen Bagdad in Castel del Monte ein, um Friedrich II. um Unterstützung zu bitten. An seinem Hof trifft er auf illustre Persönlichkeiten aus allen Bereichen, die alle von seiner revolutionären Erfindung, dem „Haus des Lichts“, angezogen werden.
  • Enrico e l’ottagono di pietra, Francesca Garofalo (2023). Wer Harry Potter und magische Geschichten liebt, wird verzaubert sein von der Geschichte Enricos und seinen beiden nicht mehr ganz jungen Freunde Antonino und Saverio, die sich unwiderstehlich zum Castel del Monte, einer Art Hogwarts in Apulien, hingezogen fühlen.
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