DIE ALTSTADT VON ROM, DIE EXTRATERRITORIALEN STÄTTEN DES HEILIGEN STUHLS IN DER STADT UND SANKT PAUL VOR DEN MAUERN
TRANSNATIONALES WELTKULTURERBE
Diese Äußerung der Hauptfigur Andrea Sperelli im Roman Lust drückt die Größe des vielleicht geografisch umfangreichsten und zeitlich vielschichtigsten UNESCO-Weltkulturerbes der Welt aus. Die Grenze der von der UNESCO geschützten archäologischen Stätte in Rom stimmt mit den Mauern überein, die Kaiser Aurelian im 3. Jh. n. Chr. baute. Im Inneren dieser Mauern entstand und gedieh über tausend Jahre das Zentrum der damals bekannten Welt: Seit der Legende von der Wölfin, die am Tiberufer trank, und zwei Kinder in einem Korb fand, legte sich die Geschichte vom Zeitalter der Cäsaren bis zu dem der Päpste auf das durch die Mauern des Kaisers Aurelian umschlossene, 1.200 Hektar weite Land. Die Stadtmauer, die gebaut wurde, als während der Völkerwanderung die Gefahr wuchs, dass der Vatikan mit Waffengewalt angegriffen würde, wurde 1870 in der Nähe der Porta Pia durch eine Kanonenkugel zerstört. Dies geschah, als während einer Militäroperation nach dem Verlust Latiums im Jahr 1860 das, was vom Kirchenstaat übrig war, an das Königreich Italien angegliedert werden sollte. Der Papst verbarrikadierte sich im Vatikan und rettete sich vor der Annexion. Erst 1929 wurde in den Lateranverträgen das Gleichgewicht zwischen den beiden Staaten und die Verwaltung der Güter des Heiligen Stuhls auf italienischem Gebiet festgelegt.
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„Von der Schwärze rückwärts. Diese Dunkelheit war das Innere des Kanonenrohrs des Gianicolos. Kaum sind wir draußen: BUMM. Rauch und ein großer Knall. Im Gleichklang. Vögel fliegen plötzlich gen Himmel, der unwiderstehlich blau ist. Es ist Mittag, und Rom weiß es jetzt.“
So lauten die ersten Zeilen des Drehbuchs zum Film Die große Schönheit von Paolo Sorrentino, der 2013 einen Oscar gewann. Wir empfehlen, den Film anzusehen und gleichzeitig das Drehbuch zu lesen, das mit vielen anderen Beiträgen 2023, also 10 Jahre nachdem der Film herauskam, veröffentlicht wurde. Die Stadt Rom, durch die Jep Gambardella geht, ist so schön wie eine verwelkte, mit Parasiten befallene Blume in einer Szene, die von unwirklichen, konfusen, gelangweilten und grotesken Personen belebt wird.
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„Man munkelte, die Einigung sei endlich
nahe, der König sei bereit, den souveränen
Besitz des Papstes an der Leoninischen
Stadt und einem schmalen Landstreifen,
der bis zum Meer reichte, anzuerkennen.
Wurde die Heirat von Benedetta und Prada
nicht gleichsam zum Symbol der nationalen
Vereinigung und Versöhnung? Wäre nicht
dieses schöne Geschöpf, die reine Lilie der
schwarzen Aristokratie, das
Zugeständnis, das
Versprechen an die weiße Gesellschaft?“
Um die Entstehung der extraterritorialen Stätten des Heiligen Stuhls zu verstehen, muss die Zeit, als die Päpste nicht nur geistige Oberhäupter, sondern auch Staatsoberhäupter waren, betrachtet werden. Vom Mittelalter bis zum 20. September 1870 regierten die Päpste im Kirchenstaat, der einen großen Teil Zentral-Italiens sowie Roms umfasste und die Unabhängigkeit und Autonomie der Kirche gegenüber allen anderen europäischen Mächten gewährleistete. Mit Beginn der nationalen Bestrebungen im 19. Jh. begann die Einigung Italiens unter der Führung Sardinien-Piemonts. Am 20. September 1870 schlugen italienische Truppen in der Nähe der Porta Pia unter der Führung Raffaele Cadornas eine Bresche in die Stadtmauer Roms, um den Kirchenstaat und die Vatikanstadt zu annektieren. Papst Pius IX. erkannte dies nicht an. So begann ein langer Konflikt zwischen der Kirche und dem italienischen Staat. Fast 60 Jahre lang blieb die sogenannte „Römische Frage“ ungeklärt und die Päpste lebten im Vatikan in einer Art freiwilligen Gefangenschaft. Die Wende kam 1929 mit der Unterzeichnung der Lateranverträge zwischen dem Königreich Italien, vertreten durch Benito Mussolini, und dem Heiligen Stuhl, vertreten durch den Kardinal Pietro Gasparri. In den Lateranverträgen wurde die Vatikanstadt als unabhängiger und souveräner Staat anerkannt, sodass dem Papst ein Territorium zugestanden wurde, auf dem er als geistiges Oberhaupt regieren konnte. Bereits Jahre zuvor waren die Gebiete des Kirchenstaats an Italien angegliedert worden, sodass das Eigentum des Heiligen Stuhls auf den Vatikan reduziert wurde – seit 1984 UNESCO-Weltkulturerbe –, was heute der kleinste Staat der Welt ist: 0,5 km2 , die zu 80% von den Vatikanischen Gärten bedeckt werden. Als der Platz nicht mehr für die staatlichen Ämter, wie die Ministerien und die Römische Kurie, ausreichte, wurde entschieden, einige Gebäude in der Stadt Rom sowie in anderen Städten unterzubringen. Diese wurden somit zu den extraterritorialen Stätten des Heiligen Stuhls.
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„Bei der Abfahrt war es sehr laut. […] Sie durchquerten die ganze Altstadt, von der Piazza Venezia bis zur Piazza del Popolo, dann weiter zur Via Veneto, Villa Borghese und dann wieder zurück zur Piazza Navona, den Gianicolo und San Pietro! […] Blickte man nach oben, so sah man fliegende Statuen, die mit ausgebreiteten Flügeln zwischen Kuppeln und Terrassen flogen. […] Und Bäume und Fahnen. Und nie gesehene Figuren aus weißem Marmor, die die Form von Männern, Frauen und Tieren hatten und die Paläste trugen, mit dem Wasser spielten, Wassertrompeten bliesen, in den Brunnen und hinter den Säulen herliefen und ritten…“
In La Storia von Elsa Morante fahren die Brüder Nino und Useppe auf einem Motorrad wie wild durch die Stadt: Es ist das Jahr 1946. Auf ihrem Weg fahren sie an einigen historisch bedeutenden extraterritorialen Stätten des Heiligen Stuhls vorbei.
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„‚Ich hasse Rom‘ antwortete Donatello.
‚Und das aus gutem Grund‘.“
Unwahrscheinlich, unlösbar, unverzichtbar, konfliktträchtig, angeberisch, desillusioniert, leidend: Von allen Städten Italiens ist Rom vielleicht die Stadt, die am meisten als lebendiges Wesen empfunden wird. Viele Schriftsteller schrieben über Rom. Vor dem 19. Jh. wird Rom von den europäischen und amerikanischen Reisenden beschrieben, die alle auf gleich auf die Stadt reagierten: Am Anfang fanden sie die Stadt verwirrend und skandalös. Eine Stadt voller Trümmer, wo Kardinäle auf verdreckten Straßen zwischen Schafherden mit Köchen das Kartenspiel Tressette spielten und die Herren der höheren Gesellschaft mit den Maultiertreibern darüber diskutieren, wie gut kleine, frittierte Fische schmecken. Doch nach einigen Tagen änderten sie ihre Meinung: Die überwältigende Schönheit der Monumente, das rötliche Gold, in das die Stadt während der Abenddämmerung getaucht wird, die religiösen Prozessionen, die fehlende formelle Strenge sind der Grund dafür, dass sich die Reisenden in die Stadt verliebten und sich nur schwer von ihr trennen konnten. Im 20. Jh. schrieben endlich die italienischen Schriftsteller über Rom. Allerdings war keiner von ihnen Römer, mit Ausnahme einiger sehr berühmter Ausnahmen, wie Moravia und Morante. Palazzeschi, der aus Florenz stammte, schrieb 1953 Roma, das Montale für ein „Porträt eines Patriziers“ hielt, „der alles ablehnte, was sich in Rom nach 1870 ereignetet“. Pratolini, der von Florenz nach Rom gezogen war, arbeitete dort an seinen ersten Erzählungen: Il tappeto verde und Via de’ magazzini aus dem Jahrl 1941, Le amiche aus dem Jahr 1943, Chronik einer Familie aus dem Jahr 1947. Flaiano, aus Pescara, schrieb 1954 die Erzählung Un marziano a Roma. Der letzte Roman Calvinos, Herr Palomar, spielt in Rom. Und dann gibt es noch den Mailänder Gadda, der eines der wichtigsten Werke des 20. Jhs. schrieb, nämlich Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana. Und schließlich der Friulaner Pasolini, der über das göttliche und gewaltsame Rom Folgendes schrieb: „Wenn Du wüsstest, was Rom ist! Laster und Sonne, Schale und Licht: ein Volk voller Lebenslust, voller exhibitionistischer Züge und ansteckender Sinnlichkeit, die die Peripherie erfüllt. Ich bin mittendrin hier verloren.“
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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben
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„WART IHR JE IN DER VILLA BORGHESE? NICHT DER PARK, OBWOHL DER NATÜRLICH AUCH ZAUBERHAFT IST, MIT SEINEN HOHEN PINIEN, DEN NIEDRIGEN UND DICHTEN STRÄUCHERN, DEN PLÖTZLICHEN LICHTUNGEN, DEM KLEINEN SEE UND DEN BRUNNEN IM ZENTRUM, DEM AUSSICHTSPUNKT AM PINCIO, MIT ALL DIESEN DINGEN, DIE SICH MISCHEN UND SO DEN ANSCHEIN EINES PARADIESES AUF ERDEN ANNEHMEN. ICH FRAGE EUCH ABER, OB IHR JE IN DER GALERIE WART?“
LESEEMPFEHLUNGEN
Literaturempfehlungen, um mehr über die historische Altstadt Roms zu erfahren.
- Der Marmorfaun, Nathaniel Hawthorne (1860). Der Roman, der sich gleichzeitig wie ein Reisetagebuch liest, folgt den Spuren der Bildungsreisenden der Grand Tour. Erzählt wird von Donatello, einem jungen, dem Faun Prassitele ähnelnden Künstler, der aus Leidenschaft ein Verbrechen begeht.
- Rom, Émile Zola (1896). Zola kam im Jahr 1894 für mehrere Wochen nach Rom. Danach entstand Rom, der zweite Roman der Trilogie Drei Städte.
- Roma, Aldo Palazzeschi (1953). Der verarmte päpstliche Adlige Filippo di Santo Stefano und sein Diener Checco erleben die Zeit des Übergangs Roms zwischen 1942 und 1950 mit der Gelassenheit derjenigen, die so lange wie möglich in zwei Welten verharren, der des Volks und der der Aristokratie. Beide Welten gehen unter.
- Un marziano a Roma, Ennio Flaiano (1954). Der Marsianer Kunt landet mit seinem Raumschiff in Rom, in der Nähe der Villa Borghese. Dieser Science-Ficition-Roman kam 1960 als Theaterkomödie heraus und wurde 1983 für das Fernsehen verfilmt.
- Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana, Carlo Emilio Gadda (1957). Im März 1927 werden im Stadtpalast in der Via Merulana zwei Verbrechen begangen. Im Krimi wird auch eine Stadt beschrieben, die sich nicht an die Regeln der Logik hält.
- Ein gewalttätiges Leben, Pier Paolo Pasolini (1959). Im zweiten Kapitel dieses Romans durchstreift eine Gruppe Jugendlicher aus der Unterschicht die gesamte Stadt Rom.
- La Storia, Elsa Morante (1974). Im Jahr 1941 wird Ida in Rom von einem deutschen Soldaten vergewaltigt. Die tragischen Ereignisse in der „kleinen Geschichte“ Idas und ihres bei der Vergewaltigung gezeugten Sohnes Useppe finden parallel zur „großen Geschichte“ statt.
- Herr Palomar, Italo Calvino (1983). Im letzten Werk Calvinos hat die Stadt zwar keinen Namen, dennoch erkennt man Rom in jeder Zeile: „In Rom kann man etwas ganz Besonderes am Ende dieses Herbstes sehen – der Himmel ist voller Vögel.“
- Magie und Gift. Rom in den Erzählungen ausländischer Schriftsteller, Valerio Magrelli (2010). „Rom ist schmutzig, doch es ist eben Rom: Und wer je in Rom gelebt habt, sollte wissen, dass dieser Schmutz eine Faszination ausübt, die jemand, der aus einem anderen Ort kommt, nie kennengelernt hat.” Magrelli wählte für den vierten Einband dieses Buches ein Zitat von John Ruskin.
- Suburra, Carlo Bonini, Giancarlo De Cataldo (2013). Das Buch war die Inspiration für die Produktion einer Netflix-Serie.
- Die große Schönheit, Paolo Sorrentino (2023). Anlässlich des 10. Jahrestags des Erscheinens des mit einem Oscar prämierten Films wurde dieses Buch herausgegeben, das das Drehbuch in seiner Originalfassung, Szenenfotos, Skizzen sowie eine Auswahl von Presserezensionen beinhaltet.
Kinder- und Jugendliteratur:
- Minuti contati, Maria Beatrice Masella (2024). Ein unbekannter Besucher überbringt zwei jungen Praktikanten des Kunstmuseums Galleria Borghese, Stella und Riky, eine geheimnisvolle Botschaft. Es ist der Beginn einer Schatzsuche und des Wettlaufs gegen die Zeit.
Laden Sie das digitale Buch herunter und entdecken Sie die 60 UNESCO-Welterbestätten Italiens durch die Worte berühmter Autoren der italienischen und weltweiten Literatur.
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