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DIE ETRUSKISCHEN NEKROPOLEN VON CERVETERI UND TARQUINIA

icona patrimonio sito UNESCO
SERIELLES WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 1158
VERLEIHUNGSSTADT: SUZHOU, CHINA
VERLEIHUNGSJAHR: 2004
BEGRÜNDUNG: Die beiden Nekropolen sind ein einzigartiges Zeugnis der antiken etruskischen Zivilisation. Die Beschreibungen des täglichen Lebens auf den Fresken der Gräber sind ein Beweis für diese Kultur.

„Wir hielten inne und betrachteten den Anblick, der
sich uns bot, nämlich den Ort, an dem sich einst die
alte Hauptstadt von Etrurien befand. Wir suchten
nach Spuren von Gebäuden, konnten aber nichts
weiter erkennen als die Felsen, die als Fundamente
dienten, und auch keine Anzeichen von Mauerwerk.
Auf der Schwelle der Städte der Toten stehend,
suchten wir vergeblich zu entdecken, was einst die
Stadt der Lebenden war.“

Il viaggiatore immaginario. L’Italia degli itinerari perduti, Attilio Brilli

In Tarquinia und Cerveteri ist, wie in allen etruskischen Stätten, wenig von den Tempeln aus Holz und Ton übrig geblieben und noch weniger von den „Städten der Lebenden“. Denn diese verschwanden, als neue Städte für neue Völker über die alten Städte gebaut wurden. Von den Etruskern sind die „Städte der Toten“ erhalten geblieben, die monumentalen Nekropolen, welche an den Eingängen der Städte oder auf den Hügeln vor den Städten lagen: Große Gräber, die in den weichen Tuffstein gegraben und mit Grabhügeln bedeckt waren, deren Durchmesser proportional zum Reichtum der ruhenden Familienmitglieder war. Es ist kaum zu glauben, doch sind es gerade die Friedhöfe, die uns Einblick in die vitale Energie und die große Verbundenheit der Etrusker mit dem Leben geben. Die Etrusker liebten die Jagd und veranstalteten Jagdfeste mit einem anschließenden üppigem Mahl, das unter bunten Zelten stattfand. Sklaven wurden als Hausdiener eingesetzt, Tänzer boten Unterhaltung, es wurden Spiele und blutige Kämpfe ausgerichtet. Sie tanzten zum Klang von Doppelflöten und Saiteninstrumenten und praktizierten die freie Liebe, die noch weit von den Zwängen der katholischen Moral entfernt war. Davon zeugen die Dekorationen ihrer Gräber, zarte erhaltene Fresken, die heute in klimatisch geschützten Räumen aufbewahrt werden.

NICHT ZU VERPASSEN

„Wir stiegen in das wichtigste Grab hinab, das der adligen Familie Matuta zugedacht war: eine niedrige unterirdische Kammer, in der etwa zwanzig Bestattungsbetten untergebracht waren [...] und die dicht mit polychromen Stuckarbeiten verziert war, die die geliebten und vertrauten Gegenstände des täglichen Lebens darstellten: Hacken, Seile, Äxte, Scheren, Spaten, Messer, Bögen, Pfeile, sogar Jagdhunde und Sumpfvögel.“

Auf den ersten Seiten von Giorgio Bassanis Roman Die Gärten der Finzi-Contini ist der Erzähler, der 1957 während eines Sonntagsausflugs mit einer Gruppe von Freunden die Nekropole von Cerveteri besucht, vom Grab der Reliefs beeindruckt, das ihn an ein monumentales Grab auf dem jüdischen Friedhof von Ferrara erinnert: das der Finzi-Contini, einer wohlhabenden Familie, die ein tragisches Schicksal erlitt und in die Konzentrationslager verschleppt wurde.
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Die Tour beginnt in beträchtlicher Entfernung von Ceveteri und Tarquinia, nämlich in
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Santa Marinella, dem Ort, an dem der Roman beginnt und an dem er zuerst geschrieben wurde. Santa Marinella ist ein schöner Badeort mit Stränden, an denen man gut surfen kann, und dem eindrucksvollen und monumentalen
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Schloss Santa Severa. In der Burg befindet sich ein Antiquarium, in dem Funde aus den Ausgrabungen des heiligen
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Tarquinia in seinem Buch Il viaggiatore immaginario. LʼItalia degli itinerari perduti sehr schön: „Sie präsentiert sich dem Reisenden als ein ziemlich intaktes Beispiel einer mittelalterlichen Stadt [...]. Die Stadtmauern, die Gleichartigkeit des Stadtgefüges [...], die häufigen Bögen [...] das schattige Straßennetz [...], die hellen Öffnungen der Ausblicke [...] machen Tarquinia zu einer Stadt von wechselndem und intensivem Reiz“. Im Archäologischen Nationalmuseum von Tarquinia wird die Geschichte der Etrusker in Tarquinia anhand erstaunlicher Exponate erzählt. „Die Nekropole ist aufgrund ihrer Fresken einzigartig. Doch vielleicht ist die Nekropole von Cerveteri im Ganzen noch einzigartiger. [...] In der Landschaft, die bereits zur Maremma gehört [...] schlängelt sich ein Weg zwischen hohen Tuffsteinwänden. An den Seiten öffnen sich kleinere Pfade, ebenfalls im Schatten der Felsen, und der Tuffstein ist mit Grabeingängen durchlöchert, jedoch zur Hälfte von prächtiger Vegetation bedeckt. In der Mitte steht eine Eiche.“ Auch wir sollten, wie Guido Piovene in 18 mal Italien, versuchen, die ganz besondere Wirkung der
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Nekropole, zu erfassen die einem Märchendorf im Schatten der Eichenwälder gleicht.

„Eine ungewöhnliche Stille herrscht an den
etruskischen Orten, an denen ich war. [...] Es war
zwar ein sonniger Nachmittag im April [...], doch
es lag eine überzeugende Stille in der Luft, und
man spürte, dass es der Seele gut tat, dort zu sein,
an diesem halb versunkenen Ort.“
„Schön ist auch das Grabmal der Löwinnen. Im
Tympanon schwingen zwei gefleckte Löwinnen
ihre glockenähnlichen Brüste, die sich auf
beiden Seiten des Altars [...] gegenüberstehen
[...]. Unterhalb springen [...] Delphine in[s] Meer,
während Vögel über sie hinwegfliegen.“

Etruskische Orte, D.H. Lawrence

Die beiden Nekropolen von Cerveteri und Tarquinia sind in ihrer Vielfalt das seltene Zeugnis eines Volkes, der Etrusker, die zu ihrer Zeit eine solche Macht hatten, dass sie nur durch eine ebenbürtige Macht gestoppt werden konnten – die Römische Republik. Die Nekropole der Banditaccia in Cerveteri besteht aus einer Reihe von Hügelgräbern unterschiedlicher Größe. Diese sind von in Tuffstein gehauenen Straßen, den so genannten Tagliate, durchzogen: Eine surreale Landschaft, die, wie Lawrence sagt, einen Frieden ausströmt, sodass Gedanken an den Tod gar nicht erst aufkommen. Freude und Lebendigkeit verspürt man auch, wenn man vor den Fresken der Necropoli dei Monterozzi in Tarquinia steht, einem lebendigen Ausdruck etruskischer Lebenskraft – dem puren Gegensatz zu ihrer Funktion als einem Ort der ewigen Ruhe.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„EIN BLICK GENÜGTE MARTIA, UM SOFORT ZU WISSEN, DASS SIE NICHT DEN CHITON, DIE KURZÄRMELIGE GRIECHISCHE TUNIKA MIT DEM SCHWARZ-ROT GESÄUMTEN UMHANG, TRAGEN WÜRDE. BESSER DEN PINK-ORANGEFARBENEN ROCK, DER MIT SCHEIBEN IN LANGEN BÄNDERN BESTICKT WAR, UND DAS SCHWERE ROTE SAMTKORSETT MIT SEINEN ORIENTALISCHEN ÄRMELN, DAS DIE SCHULTERN VERBREITERTE UND DIE TAILLE VERSCHLANKTE [...]. JETZT WARF MARTIA EINEN LETZTEN BLICK IN DEN SPIEGEL, DIE PERFEKT POLIERTE METALLSCHEIBE ZEIGTE IHR EIN ANMUTIGES GESICHT, EINEN INTENSIVEN BLICK.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 38
Dieser Auszug aus dem Ragazzo etrusco von Teresa Buongiorno fängt einen Moment aus dem Leben der alten Etrusker ein. Von diesem sehr mächtigen Volk, das Rom zwei Könige, die Tarquinier, schenkte und es fast besiegte, ist leider nicht viel erhalten geblieben. Fast alles, was wir wissen, haben wir aus dem Studium ihrer Nekropolen gewonnen. Die beiden bekanntesten etruskischen Nekropolen sind die Banditaccia in Cerveteri und die Monterozzi in Tarquinia. Beginnt Eure Reise in
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Cerveteri. Hier könnt Ihr die Nekropole zu Fuß durchqueren. Diese ist durch eine in den Tuffstein gehauene Straße gekennzeichnet, die sich zwischen riesigen Eichen und den bewachsenen Hügelgräbern hindurchschlängelt. Die Nekropole ist eine Nachbildung etruskischer Städte, nicht nur in der Anordnung der Grabhügel, sondern auch in den Innenräumen mit ihrer häuslichen Architektur. Folgt den Hinweisschildern und entdeckt die schönsten Gräber mit Säulen, Betten, in denen die Toten aufgebahrt wurden, Sitzen, Türstürzen und schrägen Dächern. Das schönste ist das Grab der Reliefs, das der Familie Matuna gehörte. Auf den Stuckwänden sind alle Alltagsgegenstände einer mächtigen Cerveteri-Familie abgebildet. Weiter geht es zum
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Nationalen Archäologischen Museum Cerite, um die in den Gräbern gefundenen Gegenstände und den Euphronius Krater zu besichtigen, eine Vase mit einem Durchmesser von einem halben Meter, die den Körper des trojanischen Sarpedon und zwei geflügelte Figuren, Schlaf und Tod, darstellt, die ihn nach Hause bringen. Nun kommen wir zu den bemalten Gräbern von
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Tarquinia. Die schönsten sind die der Àuguri, der Leoparden, der Löwinnen, der Gaukler, der Stiere und das Grabmal der Jagd und des Fischfangs. Nach dem Besuch der Nekropole der Monterozzi geht es weiter in das sehr schöne
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Zentrum von Tarquinia mit seinen Türmen, Stadthäusern, Plätzen mit gemütlichen Restaurants und dem didaktisch ausgerichteten
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Archäologischen Nationalmuseum, das in einem Palazzo aus dem 15. Jh. untegebracht ist und Gegenstände von hohem Wert beherbergt.
sito UNESCO nr. 38 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen, um die Nekropole von Banditaccia und Monterozzi zu erkunden.

  • Etruskische Orte, D.H. Lawrence (1932). Der Autor des bekannten Romans Lady Chatterleys Liebhaber (1930), schrieb Etruscan Places während eines seiner langen Aufenthalte in Italien. Das posthum veröffentlichte Buch ist nicht nur eine Beschreibung etruskischer Ausgrabungsstätten aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jhs., sondern auch ein Bericht über das Italien in der Zeit Mussolinis aus der Sicht eines Ausländers.
  • 18 mal Italien, Guido Piovene (1957). Piovene bereiste das Bel Paese drei Jahre und schrieb dann diese einzigartige und detaillierte Reportage, die als Klassiker der italienischen Reiseliteratur gilt. Von den Alpen über Cerveteri und Tarquini bis nach Sizilien lädt uns der Autor ein, die Wunderwerke Italiens zu entdecken
  • Die Gärten der Finzi-Contini, Giorgio Bassani (1962). Das Buch beginnt mit einer Reise nach Cerveteri. Das große Grab der Reliefs in der Nekropole von Banditaccia erinnert den Erzähler an die wechselvolle Geschichte der Familie Finzi-Contini aus Ferrara. Der Garten des großen Elternhauses wird für die jungen Protagonisten zu einem Zufluchtsort, zu einem Art Mikrokosmos, der vor der äußeren Realität und den Rassengesetzen geschützt ist, vor denen sich die Familie nicht retten kann. Der Roman befasst sich mit Freundschaft, Liebe, Verlust und Isolation und bietet einen tiefen und berührenden Einblick in das Leben der italienischen Juden in dieser Zeit.
  • Il viaggiatore immaginario. L’Italia degli itinerari perduti, Attilio Brilli (1997). Brilli war Professor für angloamerikanische Literatur an der Universität Arezzo und beschäftigte sich mit englischsprachiger Reiseliteratur, insbesondere mit dem Mythos der Bildungsreise Grand Tour. In Anlehnung an die Grand Tour zeichnete er 1997 die stimmungsvollen Reiserouten dieses Buches nach, die sich auf Mittelitalien konzentrieren.
  • Andare per l’Italia etrusca, Valerio Massimo Manfredi (2016). Der renommierte Autor historischer Romane begibt sich diesmal auf eine Reise durch die faszinierende Zivilisation der Etrusker. Mit seiner gewohnten Erzählkunst entführt Manfredi den Leser in eine geheimnisvolle und faszinierende Epoche und enthüllt die komplizierten Details des etruskischen Alltagslebens, der Religion, der Kunst und der Politik.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Ragazzo etrusco, Teresa Buongiorno (2014). Der Roman spielt in Veio, einer etruskischen Stadt, die 396 v. Chr. von den Römern nach einer zehnjährigen Belagerung erobert wurde.
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