DIE RÄTISCHE BAHN IN DER LANDSCHAFT ALBULA UND BERNINA
TRANSNATIONALES WELTKULTURERBE
Der rote Bernina-Express, der von Tirano nach St. Moritz fährt, ist eine der beiden historischen Bahnstrecken im Streckennetz der Rätischen Bahn. Bei der anderen handelt es sich um die 1904 eröffnete Bahnstrecke Albula, die Thusis mit St. Moritz verbindet und ausschließlich auf schweizerischem Territorium fährt. Die zwischen 1906 und 1910 gebaute Bahnstrecke Bernina gehört zu einer der ersten Europas und ist mit einer maximalen Höhe von 2253 m eine der höchsten. Die Bahn ist auch einer der ersten Züge mit elektronischem Antrieb. Außerdem steht sie gleich für mehrere Superlative: Die Ingenieursleistung, dank derer die Bahn mit ihren feuerroten Waggons, die sich im Winter so gut vom Schnee abheben, entwickelt wurde. Die Landschaft, die man durch die Eisenbahnfenster sieht, wie zum Beispiel die Weinbergterrassen des Valtellina, die Steigung im Zick-Zack zwischen Tannen- und Lärchenwäldern, das Eis des Piz Palü, der höchst gelegene Bahnhof Ospizio Bernina, die Seen und der MorteratschGletscher, gefolgt von Pontresina und St. Moritz, dem Herzen des Engadin-Tals. Schriftsteller und Philosophen wie Thomas Mann, Dino Buzzati, Eugenio Montale, Hermann Hesse, Marcel Proust, Stefan Zweig und Friedrich Nietzsche ließen sich durch die mystische Schönheit dieser Landschaften inspirieren und schufen aus dieser Inspiration heraus mit die berühmtesten Werke der europäischen Literatur.
NICHT ZU VERPASSEN
„Die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, […] gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ‘6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeitʼ. Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Blocc unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke.“
Friedrich Nietzsche verbrachte sieben Sommer in Sils-Maria, wenige Kilometer südlich von St. Moritz. In Ecce homo schildert er die Entstehung des Gedankens, der ihn dazu inspirierte, Also sprach Zarathustra zu schreiben. In der ersten Hälfte des 20. Jhs. fühlten sich viele Intellektuelle sehr durch das Engadin angezogen. So schreibt zum Beispiel Marcel Proust in Freuden und Tage Folgendes: „Mir gefielen diese seltsam sanft anmutenden Namen, die an Italien erinnern: Sils Maria, Silvaplana, Crestalta, Celerina”. Weiter schreibt Proust über die Umgebung Silvaplanas, die Nietzsche inspirierte, Folgendes: „Die Sonne ließ das Wasser in all seinen Schattierungen und unsere Seele mit all ihren Freuden erglänzen”. St. Moritz wurde zum mondänen Hotspot: Hier traf sich Saison für Saison die Crème de la Crème der damaligen Gesellschaft.
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„Ich mochte die Berge nie sonderlich / und ich
hasse die Alpen. […] Nur die elektrisierende
Atmosphäre des Engadins / überzeugte uns,
mein kleines Insekt, doch wir waren / nicht so
reich, um hic manebimus zu sagen.”
Auch Eugenio Montale liebte das Engadin und verbrachte lange Urlaube in St. Moritz. Er mochte die „elektrisierende Atmosphäre“, die auch von Proust und Nietzsche geschätzt wurde. In einem Artikel im Il Corriere della Sera am 1. Juli 1949 erzählt er von einer „Weltanschauung“, die seiner Ansicht nach für immer verloren ist: „Es ist schwierig, einem jungen Menschen der letzten Generation zu erklären, was St. Moritz und im Allgemeinen das Engadin für die zwanzig oder dreißig Jahre älteren Kulturmenschen war. [...] Das Traurige daran ist, dass diejenigen, die nach St. Moritz kamen, für eine Weltanschauung standen […], die heute langsam verschwindet. Und dieses Engadin, das seinesgleichen sucht […] verliert seine typischen und natürlichsten Kunden […]. Natürlich waren es reiche Kunden, doch nicht nur in monetärer Hinsicht. Diesen Männern und Frauen begegnen wir im Tagebuch von Maria Baskirtseff und den Romanen von Henry James und seines Anhängers Maurice Baring. In der Vorkriegszeit versuchte diese Weltanschauung von 1927 bis 1930 wieder in Erscheinung zu treten, um dann nach der Weltwirtschaftskrise und dem Aufstieg des Totalitarismus ganz zu verschwinden.“
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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben
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„HEIDI SETZTE SICH NEBEN DEN AUSGESTRECKTEN PETER HIN UND SCHAUTE UM SICH. […] DAS KIND SAß MÄUSCHENSTILL DA UND SCHAUTE RINGSUM, UND WEIT UMHER WAR EINE GROßE, TIEFE STILLE; […] NUR GANZ SANFT UND LEISE GING DER WIND ÜBER DIE ZARTEN, BLAUEN GLOCKENBLÜMCHEN. […] DEM HEIDI WAR ES SO SCHÖN ZUMUTE, WIE IN SEINEM LEBEN NOCH NIE. ES TRANK DAS GOLDENE SONNENLICHT, DIE FRISCHEN LÜFTE, DEN ZARTEN BLUMENDUFT IN SICH EIN UND BEGEHRTE GAR NICHTS MEHR, ALS SO DAZUBLEIBEN IMMERZU.”
LESEEMPFEHLUNGEN
Buchempfehlungen, um die Gegend zu entdecken, durch die der BerninaExpress fährt.
- Also sprach Zarathustra, Friedrich Nietzsche (1883–85). Es handelt sich hierbei um das Engadiner Werk schlechthin. Der deutsche Denker konzipierte im Jahr 1881 während einer Wanderung in den Bergen die Theorie der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. Er verarbeitet dieses Erlebnis in Ecce homo (1888). Die Landschaft des Engadins war bereits in der philosophischen Schrift Menschliches, Allzumenschliches (1878) aufgrund ihrer Besonderheit als „Verbindungsteil zwischen Glätscher und Eis“ Gegenstand der Gedankenkonstrukte geworden.
- Freuden und Tage, Marcel Proust (1896). Sammlung von Prosagedichten und Novellen, in denen die Reale Präsenz auftaucht, die Erzählung eines idyllischen Aufenthalts im Engandin mit einer ausgedachten Liebe
- Der Zauberberg, Thomas Mann (1924). Für Mann war Davos ein „Seelenort“, sodass er das Schatzalp Hotel als Schauplatz für seinen Zauberberg wählte. Auf den ersten Seiten fährt die Hauptfigur, Hans Castorp, auf einer beschwerlichen Fahrt in einem Zug aus Hamburg, der durch das Engadin fährt: „In der Nähe von Rorschach [...] fährt man wieder mit der Bahn, doch zu Beginn gelangt man nur bis Landquart, [...] wo man gezwungen ist, umzusteigen. Man besteigt eine Schmalspurbahn, nachdem man eine Weile in einem wenig anziehenden und windigen Ort umherging. In dem Moment, in dem sich die Eisenbahn in Bewegung setzt, die zwar klein ist, jedoch eindeutig mit ungewöhnlichen Zugkräften ausgestattet ist, beginnt der abenteuerliche Teil der Reise […]“.
- Gli invisibili compagni d’ascensione, Dino Buzzati (1935). Ein Zeitungsartikel, der am 15. Januar 1935 im Il Corriere della Sera veröffentlicht wurde und in die Sammlung I fuori legge della montagna (2010) einfloss. Buzzati macht aus einem Tagesereignis einen Text der höheren Literatur: „Das Gesetz der Berge ist sehr hart, es sind die Menschen mit dem Geschenk des Lebens, die ihnen zu Ruhm und Ehre verhalfen“.
- Tagebuch der Jahre 1971 und 1972, Eugenio Montale (1973). Im Gedicht Sorapis, vor 40 Jahren erinnert der Dichter an seine verstorbene Frau sowie an einen mit ihr 40 Jahre zuvor am Sorapis-See gemachten Spaziergang. Der im Corriere della Sera am 1. Juli 1949 erschienene Artikel Non i pazzi ma i ricchi scarseggiano a St. Moritz wurde in der Sammlung Fuori di casa (1975) veröffentlicht.
- Rausch der Verwandlung, Stefan Zweig (1982). 1918, wenige Wochen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, besuchte Stefan Zweig St. Moritz und schrieb einen Artikel, in dem er einen Vorgeschmack auf das Ende der „Welt von gestern“ und des alten Europas gab: „Nein, die Sorglosen langweilen sich nicht. Seit Jahrzehnten im kultivierten Nichtstun geschult, kann eine Bagatelle wie der Weltkrieg ihren Vergnügungen nichts anhaben […]. Wieder finden sie sich zum Tee ein, flirten und lachen und ein Paar tanzt Tango. Wo ist der Krieg? Wo ist die in Aufruhr geratene und schlaflose Welt? Ein sanfter Walzer zur Teestunde, ein Lächeln und das sich Kreuzen von Blicken.“ Zweig hat diese Erfahrung vor Augen, als er das Engadin als Schauplatz für einige Episoden des zwischen 1931 und 1938 verfassten und postum veröffentlichten Romans Rausch der Verwandlung wählt.
Kinder- und Jugendliteratur:
- Heidi, Johanna Spyri (1880). Ein bei Kindern sehr beliebtes Buch. Durch die unschuldigen Augen von Heidi erzählt die Autorin das Leben in den Schweizer Bergen Ende des 19. Jhs
- ll treno del Bernina, Paola Pianta Franzono (2015). Kinderbuch, das auf poetische und faszinierende Weise die Geschichte des kleinen roten Zuges erzählt. Das Buch enthält eine Audio-CD.
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