IVREA – INDUSTRIESTADT DES 20. JAHRHUNDERTS
WELTKULTURERBE
Im Herzen von Canavese, am Fuße der Berge, ging die Provinz Ivrea zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine tiefe Symbiose mit der Familie Olivetti ein. 1908 eröffnete Camillo Olivetti eine Schreibmaschinen-Fabrik, die 1932 in die Hände seines Sohnes Adriano überging. Dank einer Reihe legendärer Produkte wie dem Tischrechner Divisumma und der Schreibmaschine Lettera 22, gefolgt vom Programma 101, dem Vorläufer des Personal Computers, und dank der Aufmerksamkeit, die nicht nur dem Profit, sondern auch dem Wohlergehen der Mitarbeiter gewidmet wurde, förderte Adriano Olivetti ein Projekt von einzigartiger Tragweite, das Ivrea zwischen 1930 und 1960 zu einem Modell der Raumplanung und zu einer innovativen Erfahrung industrieller Produktion machte, die auf das Wohlergehen der Gemeinschaft ausgerichtet war. Dazu gehörte der Bau von Gebäuden nicht nur für Produktion und Verwaltung, sondern auch für Wohnzwecke und soziale Dienste. Die Überlegungen zur Architektur und zu den industriellen Prozessen sowie die sozialen Theorien Olivettis und seiner Mitarbeiter haben die Geschicke der Region fast ein Jahrhundert lang beeinflusst und ihr ein unübersehbares kulturelles Erbe beschert. Gerade wegen dieser tiefgreifenden Identität als „Industriestadt des 20. Jahrhunderts“ wurde Ivrea 2018 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.
NICHT ZU VERPASSEN
„Bei einem flüchtigen Blick auf die ‚roten Türme‘ müssen wir erkennen, dass das heutige Ivrea vor allem eine Industrie ist, die sich bemüht, das gesamte ‚kleine Land‘ vom Canavese in sich zu vereinen. Es ist der weltweit bemerkenswerteste Fall [...] von einer Industrie, die als Industrie regiert wird [...]; aber gleichzeitig will sie fast ein Staat sein; die Verkörperung einer religiösen, moralischen, sozialen und politischen Idee.“
So schrieb Guido Piovene in seinem Werk 18 mal Italien; auch heute noch bedeutet Olivetti zu kennen, Ivrea zu kennen. Beim Besuchen von Ivrea kann man die Bedeutung von Olivetti verstehen, die die Identität der Stadt im 20. Jh. geprägt hat und noch heute mit ihr im Dialog steht.
Google Maps
„[...] ich war beeindruckt von
der Idee, dass die Reklametafeln
auf der Straße, die eine auf
Bahnschienen fahrende
Schreibmaschinen zeigten, einen
engen Zusammenhang hatten mit
diesem feldgrauen Adriano, der
abends mit uns zusammen unsere
faden Süppchen aß.“
Olivetti war nicht nur eine Fabrik, sondern auch der Ingenieur von Adriano. Camillos ältester Sohn, der in Ginzburgs Erinnerung „melancholisch aus[sah], vielleicht, weil er sich beim Militär nicht wohl fühlte“, hat weit mehr als nur ein Unternehmen gegründet. Sein Projekt umfasste die Architektur, die zu einem Instrument des Wachstums und des sozialen Schutzes wurde, und vor allem Literatur, Kunst und Kultur, die dazu dienten, die Menschenwürde aktiv zu fördern. Das ehrgeizige Programm sah vor, neben technisch-wissenschaftlich ausgebildeten Mitarbeitern auch Intellektuelle in die industrielle Realität einzubinden. Einige waren Angestellte oder enge Mitarbeiter, wie der Journalist Pampaloni, die Schriftsteller Volponi und Soavi, die Dichter Sinisgalli, Fortini, Bigiaretti und Giudici. Andere beeinflussten die in Ivrea vorgeschlagenen Initiativen oder standen mit ihnen in Verbindung (u.a. Ginzburg, Calvino, Noventa, Pavese, Moravia). In den zahlreichen Schriften, die in dem von ihm 1946 gegründeten Verlag Edizioni di Comunità veröffentlicht wurden, legte Adriano seine Ideen zu Wirtschaft, sozialer Gerechtigkeit und Kultur dar und hinterließ ein umfangreiches Werk an vollkommenen Überlegungen.
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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben
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„ADRIANO WÜNSCHTE SICH TROTZ ALLER SCHWIERIGKEITEN, DASS ALLE MENSCHEN DIE VORTEILE UND PRIVILEGIEN HABEN SOLLTEN, MIT DENEN ER GEBOREN WURDE. ES WAR EIN PROJEKT, DAS IN DER WELTGESCHICHTE BEISPIELLOS WAR: EIN PROJEKT, DAS VIEL ZEIT UND GEDULD ERFORDERTE. IN DER ZWISCHENZEIT BESCHLOSS ER, IN SEIN UNTERNEHMEN ZURÜCKZUKEHREN. ER NAHM SEINE POSITION ALS PRÄSIDENT VON OLIVETTI WIEDER AUF [...] UND ERNEUERTE DIE PRODUKTION DER FABRIK ZUM X-TEN MAL.“


LESEEMPFEHLUNGEN
Buchempfehlungen, um die Stadt, das Werk und Adriano Olivetti besser kennenzulernen
- Vie de Henri Brulard, Stendhal (1890). In seinen Memoiren berichtet der große französische Schriftsteller von seinem Aufenthalt in Italien und in Ivrea, wo er die Oper Il matrimonio segreto von Domenico Cimarosa sah.
- Piemonte, Giosuè Carducci (1890). In dieser 1899 in Rime e ritmi veröffentlichten vaterländischen Ode ist Ivrea „die Schöne, die die roten Türme träumend in die blaue Dora / in der breiten Bucht spiegelt“ während „düster ist der Schatten / von König Arduino umherum“.
- Olivetti di Ivrea. Visita a una fabbrica, Franco Fortini, Carlo Brizzolara, Albe Steiner (1949). Ein außergewöhnliches altes Schriftdokument und ein Kunstwerk.
- Società Stato Comunità. Per una economia e politica comunitaria (1952); Città dell’uomo (1959); Le fabbriche di bene (1945, 1951); Il dente del gigante (2020). Einige der Aufsätze von Adriano Olivetti.
- 18 mal Italien, Guido Piovene (1957). Piovene bereiste das Bel Paese drei Jahre und schrieb dann diese einzigartige und detaillierte Reportage, die als Klassiker der italienischen Reiseliteratur gilt. Von den Alpen bis nach Sizilien, auch durch Ivrea, ist sein Blick eine Einladung, die Wunder Italiens zu entdecken.
- Tempi stretti (1957); Donnarumma all’assalto (1959), Ottiero Ottieri. Zwei Romane inspiriert von der beruflichen Erfahrung des Schriftstellers und Soziologen beim Werk Olivetti in Pozzuoli.
- Memoriale, Paolo Volponi (1962). Sein erster Roman hat als Hauptfigur einen Arbeiter eines Werkes im NordItalien nach dem Zweiten Weltkrieg und beschäftigt sich mit Themen wie Entfremdung und unterdrückende Arbeitsbedingungen.
- Familienlexikon, Natalia Ginzburg (1963). Die ergreifenden Erinnerungen der Schriftstellerin umfassen auch solche an Adriano Olivetti, seine Freundschaft mit der Familie Levi und den Antifaschismus.
- Adriano Olivetti: un’idea di democrazia, Geno Pampaloni (1980). Eine Sammlung von Aufsätzen eines der wichtigsten Intellektuellen aus dem 20. Jh. in Italien.
- Il conte, Giorgio Soavi (1983). Alessio Donati, die Hauptfigur, ist ein Schutzbefohlener von Adriano Olivetti. Der gleiche Autor schrieb auch Adriano Olivetti: una sorpresa italiana (2002).
- Con i tempi che corrono, Libero Bigiaretti (1989). Olivetti beauftragte ihn mit der Leitung der Pressestelle. Der Schriftsteller erzählt in diesem Gespräch mit Gilberto Severini von seiner Karriere.
- L’impresa responsabile. Un’intervista su Adriano Olivetti, Luciano Gallino (2001). Der Soziologe denkt über das unternehmerische Projekt und die kulturellen Auswirkungen vom Adriano Olivettis Werk nach.
- Adriano Olivetti. La biografia, Valerio Ochetto (2013). Ein vollständiges Porträt des Menschen und des Industriellen, veröffentlicht von Edizioni Comunità.
- Ivrea: guida alla città di Adriano Olivetti, Marco Peroni (2016). Erzählungen, Anekdoten, Bilder, Karten und Dokumente, um Ivrea und den Gründer von Olivetti kennenzulernen.
- La letteratura ai tempi di Adriano Olivetti, Giuseppe Lupo (2016). Eine Auseinandersetzung von wichtigen Intellektuellen und Schriftstellern über die Idee von Olivetti und die Erfahrung des Unternehmens in Ivrea.
Kinder- und Jugendliteratur:
- Adriano Olivetti: l’industriale del popolo, Luca Azzolini (2019). Damit können auch die jüngsten Leser das Leben Adriano Olivetti kennenlernen.

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