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VAL D’ORCIA

icona patrimonio sito UNESCO
KULTURLANDSCHAFT
DOSSIER UNESCO: 1026
VERLEIHUNGSSTADT: SUZHOU, CHINA
VERLEIHUNGSJAHR: 2004
BEGRÜNDUNG: Das Val dʼOrcia ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Neugestaltung der Kulturlandschaft im Stile der Renaissance, mit sanften Hügeln, Tälern, mittelalterlichen Dörfern, Weinbergen und Olivenhainen. Dieses harmonische Zusammenspiel spiegelt die jahrhundertelange Interaktion zwischen Mensch und natürlicher Landschaft in einer Region wider, die von der traditionellen Landwirtschaft geprägt ist, mit Zypressen, Villen, Bauernhäusern und Anbauflächen, die in ihrer Gesamtheit einzigartig sind.

„Die Eidechsen liefen über die von Sonne und Regen
gerundeten Ziegel des Hofes. Etwa zwanzig Schritte
vom Gehöft entfernt stand eine halb verfallene
Scheune. Unmittelbar dahinter begann ein großer,
leicht abfallender Olivenhain, der sich wie ein
Fluss durch Weinberge und Wälder zog. Auf der
gegenüberliegenden Seite, ein paar Dutzend Meter
vom Haus entfernt, kletterte ein Pinienwald den
Berg hinauf. Die Aussicht war herrlich. Hier und da
konnte man auf den Bergrücken Villen, kleine Dörfer,
Kirchen und Schlösser sehen.“

Nachtschattenhaus, Marco Vichi

Im Palazzo Pubblico in Siena befindet sich ein Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti aus der ersten Hälfte des 14. Jhs. Auf einem der Fresken sind die Auswirkungen einer guten Regierungsführung dargestellt: Von einer Stadtmauer aus führt eine gepflasterte Straße in eine Hügellandschaft. Hier jagen zwischen Dörfern und Burgen Adlige, und Bauern gehen ihrer Arbeit nach. Inspiriert wurde der Maler durch das Val dʼOrcia. Es liegt im südlichen Teil der Provinz Siena und umfasst die Gemeinden Castiglione dʼOrcia, Montalcino, Pienza, Radicofani und San Quirico dʼOrcia. Hier verschmelzen natürliche Schönheit und menschliche Intervention inmitten einer sanften Hügellandschaft mit malerischen Dörfern aus dem Mittelalter, Zypressenalleen, Weinbergen und Olivenhainen, die Zeugnis einer sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelten Kulturlandschaft sind, welche sich stets ihre Identität bewahrte. Die vielen malerischen Schauplätze des Val dʼOrcia dienten als Kulisse für nationale und internationale Filme: Die Landschaft von Pienza und San Quirico d‘Orcia für den Film Gladiator, Sant‘Anna di Camprena für den Film Der Englische Pazient, der Palazzo Piccolomini in Pienza und die Abtei von Sant‘Antimo für Romeo und Julia und Zeffirellis Bruder Sonne, Schwester Mond.

NICHT ZU VERPASSEN

„Was er für sich gefunden hatte [...], erlaubte ihm, am Steuer sitzend, den Blick auf die vom Wind gestreichelten Weizenfelder, das Fließen des Flusses und, wenn die Kälte kam, den klaren, vom Nordwind gepeitschten Himmel und die schneebedeckten Hügel am Horizont zu genießen. Bei schönem Wetter konnte er anhalten und sich unter einem Baum ausruhen oder, den Schildern folgend, im Gras in der Nähe der Gräber der Etrusker sitzen.“

Liest man Anna Luisa Pignatellis Beschreibung der toskanischen Landschaften in Il campo di Gosto, so bekommt man eine Vorstellung davon, dass diese intensiv erlebt werden kann, wenn unsere Lebenshaltung von Langsamkeit geprägt ist.
Google Maps
Wir starten früh in
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Castiglione d’Orcia. Startpunkt ist die Piazza il Vecchietta, das Zentrum der Stadt, die, wie es oft in der Toskana der Fall ist, in der Mitte einen Travertinbrunnen hat. Hier stehen wunderschöne mittelalterliche Gebäude wie der Palazzo Comunale. Bei einem Spaziergang können wir die romanische Kirche Santa Maria Maddalena und die Renaissancekirche Santi Stefano e Degna besichtigen. In nur wenigen Minuten erreicht man
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Bagno Vignoni, ein ungewöhnliches Dorf, dessen Thermen bereits die Etrusker kannten. Das historische Zentrum wird von der Piazza delle Sorgenti beherrscht, einem extravaganten Platz mit einer 49 mal 29 Meter großen Fläche, an der die Loggia Santa Caterina aus dem 16. Jh. und die Kirche San Giovanni Battista stehen. Sehr beeindruckend ist der Parco Naturale dei Mulini, wo das Quellwasser in den Fluss Orcia fließt. Beim Abstieg sehen wir die vier in den Fels gehauenen mittelalterliche Mühlen und erreichen das große natürliche Becken der antiken römischen Thermen. Es wird nun Zeit für das schöne
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San Quirico d’Orcia: Schon die Horti Leonini sind einen Besuch wert, ein schöner italienischer Garten, der 1585 von Diomede Leoni (einem Freund Michelangelos) angelegt wurde. Danach schlendern wir durch das Geflecht von Hecken und genießen sowohl die Ruhe als auch die vielen Statuen. Von hier kann man die Kuppel der Stiftskirche der Heiligen Quirico und Giuditta, erkennen, die zwischen dem 12. und 13. Jh. erbaut wurde. Das Portal ist beeindruckend: ein auf Säulen ruhendes Säulenportal, die von zwei Löwen getragen werden, und ein Architrav mit zwei kämpfenden Ungeheuern. Schließlich die
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Cappella della Madonna di Vitaleta, eines der Wahrzeichen des Val dʼOrcia: eine kleine Kirche, die Ende des 16. Jhs. mitten im Nirgendwo errichtet wurde. Um sie zu erreichen, fahren wir auf die unbefestigte Straße, die von der SR146, der Verbindungsstraße zwischen Pienza und San Quirico d‘Orcia, abzweigt. Dort suchen wir eine Parkmöglichkeit, und gehen, den Hinweisschildern folgend, zu Fuß weiter.

„Das Feuerwerk des Unwetters / wird spät abends das Rauschen der Bienenstöcke sein. / Das Zimmer hat wurmstichige / Balken und ein Hauch von Melonen / dringt aus der Diele. Die Rauchschwaden / steigen sanft das Tal / der Elfen und Pilze hinauf bis zum durchsichtigen Kegel / des Gipfels und trüben meine Brille, / und ich schreibe dir von hier aus, von diesem / abgelegenen Tisch, von der Honigzelle / einer in den Weltraum geschossenen Kugel / und den abgedeckten Käfigen, dem Herd / wo die Braunen explodieren, die Adern / von Salpeter und Schimmel sind das Bild / wo du bald zerbrechen wirst. Das Leben / das dich umgibt, ist noch zu kurz / wenn es dich enthält! Es öffnet sich dein Bild / der helle Grund. Draußen regnet‘s.“

Notizie dall’Amiata, in Le occasioni, Eugenio Montale

Montale schrieb diese Verse während eines Aufenthalts auf dem Amiata am südlichen Rand des Orcia-Tals, das von einer stillen, herbstlichen und nebligen Landschaft geprägt ist, die religiöse Gefühle auslöst. Mit seinen dichten Buchenwäldern und Wiesen, seinen Wäldern voller Pilze und Kastanien und den wenigen Siedlungen scheint der Berg den Gegensatz zu den arkadischen Hängen zu bilden, die ihn umgeben. Diejenigen, die das Glück hatten, den Gipfel an einem klaren Tag zu erklimmen (ein seltenes Ereignis auf dem Amiata, dessen Gipfel oft von Wolken umgeben ist), sagen, dass man von hier oben das Meer, die Inseln des toskanischen Archipels und sogar Rom sehen kann.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„DAS VON STEINEICHEN UMGEBENE BAUERNHAUS ERREICHTE MAN ÜBER EINEN VON BROMBEERSTRÄUCHERN GESÄUMTEN FELDWEG, AN DESSEN RAND KURZ VOR DEM HAUS EINE GROßE, KEGELFÖRMIGE, PERFEKTE ZYPRESSE STAND [...]. ALS DIE SONNE HINTER DEN HÜGELN VERSCHWAND, FÄRBTE SICH ‚DIE GROSSE ZYPRESSE‘ IN EIN DUNKLES, INS BLAUE ÜBERGEHENDE SCHWARZ UND VERSCHMOLZ ALLMÄHLICH MIT DER NACHT.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 39
Die Zypresse, die Marta, die Hauptfigur im Werk Oschia von Anna Luisa Pignatelli, beschreibt, scheint für alle Zypressen im Val dʼOrcia zu stehen. Eine der Lieblingsbeschäftigungen der Talbesucher besteht darin, die sanften Hänge auf der Suche nach den besten Aussichten zu erwandern, die als Kulisse für Szenen in berühmten Filmen gedient haben. Im Folgenden findet Ihr eine Route, die Euch zu den beliebtesten Orten führt. Beginnt an der Straße, die von Torrenieri nach San Quirico d‘Orcia führt, der SR2: Von hier aus kommt Ihr über einen kleinen Feldweg zum
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Zypressenring Fahrt, sobald Ihr San Quirico hinter Euch gelassen habt, zum
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Podere Belvedere, um weitere Ausblicke auf das Val d‘Orcia genießen zu können. Wenn Ihr in Richtung Pienza weiterfahrt, kommt Ihr an den Ort, in dem die Szene aus dem Film Gladiator von Ridley Scott (2000) gedreht wurde, in der Maximus Decimus Meridius durch die
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elysischen Felder geht. Ihr erkennt ihn an der Straße, die zum Agriturismo Terrapille führt, nordöstlich von San Quirico. Um die viel fotografierte
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Zickzackstraße zu erreichen, nehmt Ihr stattdessen die SS88 in Richtung Montichiello. Nach Erreichen des Agriturismo Baccoleno müsst Ihr nach dem Parken durch einen Feld laufen, von dem aus Ihr einen Blick auf den von Zypressen gesäumten Asphaltstreifen habt. Verlasst Montichiello in südwestlicher Richtung, um eine „grüne Pause“ der etwas anderen Art: die an der
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Quercia delle Checche In der Toskana ist die „cecca“ oder „checca“ die Elster, und nach diesem Vogel ist der riesige Baum an der Straße SP53 von Bagno Vignoni nach Radicofani benannt. Es handelt sich um eine Eiche (Quercus patraea), die 1760 gepflanzt wurde und immer noch lebt. Ihre Höhe von 19 m und ihr Kronendurchmesser von 34 m haben ihr den Titel Grünes Denkmal eingebracht, den ersten Titel seiner Art in Italien. Ihr könnt die Eiche begrüßen und den Schatten, den sie spendet, sowie die Spiritualität, die sie ausstrahlt, genießen und Euch eine Pause gönnen. Zuletzt kommen wir zu einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Gegend: die
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doppelten Zypressenreihen am Eingang des Agriturismo Poggio Covili. Ihr findet ihn in der Via Cassia 2 (SR2), südöstlich von Bagno Vignoni.
sito UNESCO nr. 39 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen zum Val d‘Orcia.

  • Nachtschattenhaus, Marco Vichi (2007). Der Krimi, der im Chianti und an den Hügeln von Siena spielt, ist auch eine Geistergeschichte über Emilio Bettazzi, einen florentinischen Schriftsteller, der ein Landhaus mietet, um dort einen Roman zu schreiben. Allerdings gibt es viele Vorkommnisse: nächtliche Visionen und Überfälle in geheimen Villen.
  • Il sangue di Montalcino, Giovanni Negri (2010). Ein Kriminalroman, der in der Welt des Weinbaus spielt und mit dem Mord an einem Önologen in der Abtei SantʼAntimo beginnt. Die Ermittlungen von Kommissar Cosulich decken eine Intrige auf, bei der es um Wein, Schande und um verdeckte Wahrheiten geht.
  • Il poggio dei cipressi, Daniele Lotti (2016). Ledo Antinelli, ein Mann mittleren Alters, muss den Verlust seines Vaters verkraften, der nach langer Krankheit verstarb. Daraufhin erbt er ein beachtliches Anwesen in der Nähe von Montepulciano, das er zum Verkauf anbietet, ohne zu wissen, dass sein Vater nur als Strohmann eingetragen war. Der Verkauf wird mit einer wohlhabenden Amerikanerin abgeschlossen und löst eine Reihe von geheimen und rätselhaften Ereignissen aus.
  • Foschia, Anna Luisa Pignatelli (2019). In diesem ernsten Familienroman, durch den Pignatelli bekannt wurde, ziehen Nebelschwaden über die toskanische Landschaft, in der Marta ihre konfliktreiche Beziehung zu ihrem Vater Lapo wiedererlebt.
  • The Tuscan Contessa, Dinah Jefferies (2020). Der Roman spielt 1944 im San Gimignano. Die Hauptfigur ist Gräfin Sofia de‘ Corsi, die in der Toskana lebt und von ihrem Fenster Aussicht auf das Val dʼOrcia hat. Als die Nazis kommen, kreuzen sich ihr Leben und das von Maxine, einer Reporterin, die in die Gegend gekommen ist, um über den Krieg zu berichten.
  • Il campo di Gosto, Anna Luisa Pignatelli (2023). Der Roman erzählt die Geschichte von Agostino, genannt Gosto, geschieden, mit einer Tochter, die nur an Geld denkt und von bösartigen Menschen umgeben ist. Abwechselnd werden die Ereignisse sowie die wunderschönen Landschaften des Val dʼOrcia und das dunkle Innenleben der Romanfiguren beschrieben.
  • Notti in Val d’Orcia, Dario Pasquali (2023). Nach der Ankunft des Ingenieurs Andrea Solo, dem fähigen Manager eines mächtigen multinationalen Pharmakonzerns, und Beatrice Lucci, einer entschlossenen Frau auf der Suche nach wirtschaftlichem und sozialem Erfolg, werden in der eindrucksvollen Landschaft des Val dʼOrcia eine Reihe grausamer Morde begangen.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Scoprire la Val d’Orcia. Storie di Santi, Re e Briganti, Chiara Cipolla (2011). Dieses Buch ist der Schlüssel zur Schatztruhe der Geschichte und der Geschichten der fünf Gemeinden des Val dʼOrcia. Geschichte von Päpsten und Kaisern, Heiligen und Räubern – mit der zuverlässigen Begleitung von Pilger Orcino.
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