VILLEN UND GÄRTEN DER MEDICI IN DER TOSKANA
SERIELLES KULTURLANDSCHAFT
Die Villa, die Maugham zu Beginn seines Buches beschreibt, ist zwar fiktiv, dennoch vereint sie mehrere Merkmale der Medici-Residenzen in Florenz und der ganzen Toskana: die isolierte Lage, fast immer mit Panoramablick; die Idylle der Natur, in die die Villen eingebettet sind; die Vorliebe für reiche und raffinierte Dekorationen. Die zwischen dem 15. und 17. Jh. entstandenen 14 Wunderwerke (12 Villen und zwei Gärten) markieren einen klaren Bruch mit den im Besitz des Adels befindlichen Bauernhöfen und den Schlössern mit feudalem Erbe. Sie sind somit nicht nur ein Zeugnis für die Werke der Medici, sondern stehen auch für neue Prinzipien und Werte, die sich in ganz Europa verbreiteten.
NICHT ZU VERPASSEN
„Auf einmal ist die ganze Höhle voller Wasser, alle Sitze spritzen einem Wasser in den Hintern; und wenn man aus der Höhle tritt und die Stufen des Schlosses hinaufsteigt, spritzen tausend Wasserfäden aus jeder zweiten Stufe der Treppe, die zum Vergnügen gedacht ist, und besprühen einen bis zur Spitze des Gebäudes. Es ist nicht möglich, die Schönheit mit einer bloßen Aufzählung zu beschreiben.“
In seinem Tagebuch einer Reise nach Italien verliebt sich der Philosoph Montaigne hoffnungslos in die Höhlen des Medici-Gartens von Pratolino. Wer eine richtig schöne Tour machen möchte, der sollte noch weitere drei Medici-Villen besichtigen.
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„Wenn wir von Liebe sprechen, so meinen
wir den Wunsch nach Schönheit, denn so
definieren alle Philosophen die Liebe, und
Schönheit ist eine gewisse Anmut, die vor allem
und am häufigsten aus der Übereinstimmung
mehrerer Dinge entsteht.“
Unter den in der UNESCO-Liste aufgeführten Villen gibt es eine, die für einen epochalen Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie steht: nämlich die der Stadt am nächsten gelegene Villa Medici in Careggi, der dritten Residenz der Medici. Hier befand sich der Sitz der Neuplatonischen Akademie, die 1462 im Auftrag von Cosimo de‘ Medici durch Marsilio Ficino gegründet wurde und die größten Intellektuellen der Zeit versammelte: von Pico della Mirandola bis Nicola Cusano, von Agnolo Poliziano bis Leon Battista Alberti; hier erblühte der Humanismus, der die Menschenwürde in den Mittelpunkt stellte, die Grundlagen für eine wissenschaftliche Betrachtungsweise der Natur und des Geistes schuf und die Antike wiederentdeckte. Die Schönheit, über die Marsilio Ficino im berühmtesten Werk der damaligen Zeit schreibt, ist also auch diejenige, die sich dem Besucher des Gebäudes mit seinen prächtigen Fresken, dem trapezförmigen Innenhof, der Loggia, dem kleinen Arbeitszimmer des Lorenzo il Magnifico (der genau hier starb) und dem großen Park voller exotischer Pflanzen und hoher Baumarten offenbart.
NICHT ZU VERPASSEN
„In der Zwischenzeit, als Giuliano bei Lorenzo [dem Prächtigen], der in Poggio a Caiano, einem Ort zwischen Florenz und Pistoia, zu bauen gedachte und mehrere Modelle anfertigen ließ [...], ließ Lorenzo Giuliano ein Modell von dem anfertigen, was er zu tun gedachte, und er machte es so unterschiedlich von der Form der anderen und so sehr nach Lorenzos Laune, dass er es sofort als das Beste von allen in die Tat umzusetzen begann.“
Um die Großartigkeit von Giuliano da Sangallos Projekt der Villa di Poggio in Caiano bestätigen zu können, müssen wir uns auf Giorgio Vasaris Werk Lebensläufe verlassen. Um uns mehr als 500 Jahre nach deren Bau einen Eindruck von der Besonderheit der Villa zu machen, müssen wir sie besichtigen.
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„Wenn ich, wie ich oftmals tue, die alten Zeiten
überdenke und mir vergegenwärtige [...], so
scheint es mir, dass es sehr glückliche und
sehr begünstigte Menschen waren, die in der
blühendsten Zeit der Republik, ausgezeichnet
durch die Ämter, die sie bekleideten, und durch
den Ruhm ihrer Taten, es verstanden, ihr Leben
so zu führen, dass sie ohne Gefahr am öffentlichen
Leben teilnehmen und dann mit Würde die Ruhe
des Privatlebens genießen konnten.“
Zwischen 1443 und 1451 beauftragte Cosimo deʼ Medici den Architekten Michelozzo mit dem Umbau der umzäunten Festung von Cafaggiolo in der Landschaft des Muggello in eine herrschaftliche Villa, wo er sich ausruhen und zur Jagd gehen konnte. Während des Umbaus wird dem Aspekt der Verteidigung Raum gegeben (Türme und Mauern mit Öffnungen für Arkebusen sowie Gräben sind vorgesehen) und gleichzeitig werden Straßen, Brunnen und Gärten angelegt. Unter Lorenzo de‘ Medici wurde die Villa dann zu einem regelrechten Urlaubsort, der Intellektuelle und Künstler beherbergte. Auch Jahrhunderte später ist es noch möglich, an der Entwicklung der Architektur der Villa Cafaggiolo den Rückgriff auf Werte aus der Antike zu erkennen, die nach dem Modell Ciceros auf dem Gleichgewicht zwischen politischem Engagement und Muße beruhen. Es handelt sich hier um Veränderungen, mittels derer sich die Renaissance manifestiert.
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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben
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„APROPOS BOBOLIGARTEN, ICH KANN DEN KLEINEN TEICH MIT SEINEN SPRINGBRUNNEN UND GOLDFISCHEN NICHT VERGESSEN, DER MIR ANGENEHME STUNDEN BESCHERTE.“


LESEEMPFEHLUNGEN
Buchempfehlungen zu den Villen der Medici.
- De oratore – Über den Redner, Marco Tullio Cicero (55–54 v. Chr.). In diesem Werk beschreibt Cicero die verschiedenen Fähigkeiten, welche für die Entwicklung der Redekunst erforderlich sind. Das Buch ist nicht nur ein grundlegendes Werk der Rhetorik, sondern beschreibt an mehreren Stellen die Muße (otium), der während der Herrschaft der Medici ein hoher Stellenwert beigemessen wurde.
- Über die Liebe, Marsilio Ficino (1469). Der bekannteste Text, der von Mitgliedern der Florentiner Neuplatonischen Akademie, die ihren Sitz in der Villa Medicea in Careggi hatte, verfasst wurde, ist Marsilio Ficinos Kommentar zu Platons Symposion Sein Einfluss war enorm, nicht nur intellektuell, sondern auch künstlerisch: Die Idealität von Botticellis Primavera und Die Geburt der Venus zum Beispiel unterlagen dem Einfluss Ficinos.
- Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, Giorgio Vasari (1550). Das erste Kunstgeschichtsbuch, das je veröffentlicht wurde, machte Vasari über seine künstlerischen Fähigkeiten hinaus berühmt. Bei der Beschreibung seiner Kollegen schenkt der aus Arezzo stammende Schriftsteller den Ereignissen in Florenz und in der Toskana besondere Aufmerksamkeit, sodass es viele Verweise auf die hier behandelten Villen gibt, deren Bau Mitte des 16. Jhs. für die Medici von großer Bedeutung war.
- Tagebuch einer Reise nach Italien, Michel de Montaigne (1580). Zwar setzte sich Montaigne systematisch mit der Philosophie der klassischen Antike auseinander, war jedoch gleichzeitig auch Vordenker der zukünftigen Epochen: Mit seiner zwischen 1580 und 1581 unternommenen Italienreise nahm er die Bildungsreise vorweg, die die Intellektuellen von Goethe bis Stendhal, von Shelley bis Dickens zwischen dem 18. und 19. Jh. machen sollten.
- Wanderung, Hermann Hesse (1904–20). Hesse widmete dem Reisen Gedichte, Kurzgeschichten, Tagebücher und Romane; er besuchte Singapur und Sumatra, erkundete Sri Lanka und Indien und bereiste die entlegensten Gebiete Italiens. Der Band beinhaltet verschiedene Schriften zum Thema Wandern, in den Bergen und in den Wäldern, aber auch in den BoboliGärten, einem Ort, der dem deutschen Schriftsteller unauslöschlich in Erinnerung blieb.
- Oben in der Villa, William Somerset Maugham (1941). Es ist ein wahres Meisterwerk des berühmten englischen Schriftstellers. Ein kurzer Roman, dessen Schauplatz die große englische Kolonie ist, die zwischen dem 19. und 20. Jh. in Florenz lebte. Erzählt werden die Geschicke einer wunderschönen Frau, die zwischen zwei Verehrern steht. Es ist eine Mischung aus Ironie und Spannung, Liebe und Gewalt, Drama und Leichtigkeit.
Kinder- und Jugendliteratur:
- Due ragazzi nella Firenze dei Medici, Marco Di Tillo, Giacomo Agnello Modica (2019). Die beiden Jugendlichen Pietro und Giuliano verbindet eine enge Freundschaft. Doch ihre Herkunftsfamilien sind erbitterte Feinde: Giuliano ist ein Medici, Pietros Mutter ist eine Pazzi und ihre Familie plant eine Verschwörung, die für Giuliano ein tragisches Ende nehmen wird.
- I Medici. Signori di Firenze. Le grandi dinastie, Paolo Cantatore, Mattia Simeoni (2023). Die Medici, eine Bankiersfamilie, die die Stadtherrschaft erlangte, prägten nicht nur die politische Geschichte der Stadt, sondern insbesondere die bildende Kunst und Literatur der italienischen Renaissance.

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