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WEINANBAUGEBIET IM PIEMONT: LANGHE, ROERO UND MONFERRATO

icona patrimonio sito UNESCO
SERIELLES KULTURLANDSCHAFT
DOSSIER UNESCO: 1390
VERLEIHUNGSSTADT: DOHA, KATAR
VERLEIHUNGSJAHR: 2014
BEGRÜNDUNG: Die Weinanbaugebiete Piemonts sind ein einzigartiges lebendiges Zeugnis für Weinbautraditionen mit einer langen Geschichte. Diese Traditionen entwickelten und verbesserten sich stetig bis heute. Die Weinberge von Langhe-Roero und Monferrato sind ein außergewöhnliches Beispiel für die Interaktion des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung.

„Ein Weinberg, der den Rücken eines Hügels bis zum
Himmel erklimmt, ist ein vertrauter Anblick, doch die
einfachen und tiefen Reihen ähneln einem magischen
Tor. […] All dies ist vertraut und fern – kindlich, um
es kurz zu sagen, doch es erschüttert jedes Mal, als
wäre es eine ganze Welt.

Feria d’agosto, Cesare Pavese

Seit Jahrhunderten stehen die durch die Alpen – welche sich an klaren Tagen am Horizont abzeichnen – geschützten Weinbaulandschaften Langhe, Roero und Monferrato im Mittelpunkt zahlreicher historischer und literarischer Ereignisse. Landschaften, die von Flüssen durchzogen werden, die ihre Täler formten und an deren Hügeln sich Menschen in Dörfern, Schlössern und mit Weinbergen ansiedelten. Seit 2014 gehört dieses Gebiet Piemonts zwischen den Provinzen Cuneo, Asti und Alessandria zum UNESCO-Welterbe, da hier Kultur und Natur in beispielhafter Weise zusammenwirken: eine Kombination, die dem Welterbe einen universellen Wert verlieh. Bereits Cesare Pavese schrieb in Der Mond und die Feuer: „Ein Dorf bedeutet, nicht allein zu sein, zu wissen, dass in den Menschen, in den Pflanzen, in der Erde etwas von dir ist.“ Dieses Dorf war für den Autor genau das Dorf zwischen den Langhe und dem Monferrato, in dem er geboren wurde. Dank der authentischen und alten Kunst der Weinherstellung bilden ein Schloss und fünf Weinanbaugebiete die Eckpfeiler einer Landschaft, die von den Reihen der Rebstöcke und den langsamen Rhythmen der Rebe geprägt ist. Aus diesem besonderen Terroir – einem Zusammenspiel von Mensch und Natur – stammen weltweit bekannte und geschätzte Weine, wie der Barolo und der Barbaresco, beide aus der Rebsorte Nebbiolo hergestellt, der Barbera di Nizza, der Moscato d‘Asti und der Asti Spumante.

NICHT ZU VERPASSEN

„Unzählige kleine Dörfer, die durch die zahlreichen Hügel und Täler miteinander verbunden sind, sodass selbst die nächstgelegenen Dörfer weit entfernt und die weit entfernten Dörfer nah zu sein scheinen. Unzählige kleine oder große Dörfer [...], deren bekannte und sehr bekannte Namen auf die Etiketten gedruckt sind.“

So beschreibt der aus dem Piemont stammende Mario Soldati in Vino al vino die Wanderung durch die Hügel der Langhe und des Monferrato. Der Weg durch das Herz „dieses mit Sternen übersäten Nordwestens“ – wie Paolo Conte in Diavolo Rosso singt – ist ein Auf und Ab zwischen Hügeln und Kellern, die durch den roten Faden des Weins miteinander verbunden sind, welcher in dieser Gegend Charaktere und Grenzen definiert.
Google Maps
Das Schloss
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Castello di Grinzane Cavou ist ein sehr guter Ausgangspunkt, um das Gebiet, eines der Zentren des UNESCOWeltkulturerbes Langhe, Roero und Monferrato, zu erkunden. Ein außergewöhnlicher Ort, um die Weinkultur kennen und schätzen zu lernen und außerdem die Heimat von Camillo Benso, Graf von Cavour. Von hier aus eröffnet sich ein Blick auf die Hügel der
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Langa del Barolo mit ihren Weinbergen, die hier und da von Höfen und märchenhaften Dörfern unterbrochen und von imposanten Burgen und dem Monviso geschützt werden, den man an klaren Tagen hinter den Glockentürmen und Türmen sehen kann. Serralunga d’Alba, Castiglione Falletto, Monforte d’Alba, La Morra und Barolo sind einige der Dörfer, die man entlang der Straßen, die durch die grünen Weinberge führen, besichtigen kann. In Barolo gibt es das WiMu, ein Weinmuseum. Weiter geht es nach
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Alba, eine elegante Stadt, die nach Wein, weißem Trüffel und Schokolade duftet. Weiter in Richtung Norden kommen wir zu den
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Hügeln des Barbaresco, die nach einem anderen Wein des Anbaugebiets benannt sind. Dieses befindet sich in den Gemeinden Alba (Ortsteil von San Rocco Seno d‘Elvio), Treiso, Barbaresco und Neive, malerischen und raffinierten Dörfern. Die an den Hängen liegenden Reihen der Rebstöcke begleiten uns auf unserer Fahrt, bis wir
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Canelli und seine unterirdischen Kathedralen und städtischen Weinkeller erreichen, die weltweit bekannte Heimat des Moscato und des Asti Spumante. Bevorzugen wir hingegen den roten Barbera, so fahren wir in Richtung
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Nizza Monferrato, wo sich die Landschaft verändert. Die Hügel werden allmählich sanfter und fallen zur Poebene hin ab. Zuvor aber genießen wir die entspannte Atmosphäre
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Monferratos und seiner Infernot, Weinkeller, die in den „Pietra da Cantoni“ – ein Sandstein, der nur in diesem Teil des Gebiets vorkommt – unter den Häusern der Bauern gegraben wurden, um hier die besten Weine zu lagern.

„Er hatte die Hügel immer als den natürlichen
Schauplatz seiner Liebe betrachtet [...] und
stattdessen oblag es ihm nun, das Letzte zu tun,
was er sich vorstellen konnte: Krieg zu führen.“

Eine Privatsache, Beppe Fenoglio

Man braucht einen guten Blick für diese Hügellandschaften, denn selbst wenn sie heute jeden Tag ihr Sonntagskleid tragen, so sind doch Hunger und Leid der Vergangenheit – durch Schriftsteller wie Beppe Fenoglio und Nuto Revelli meisterhaft beschrieben – nicht vergessen: Ein Leid, das durch Krieg, Hunger und Unfreiheit verursacht wurde und gegen das die Widerstandsbewegung Resistenza kämpfte. Es ist ein Kapitel der Geschichte, das noch immer in den Weinstöcken zu lesen ist. Daran erinnerte der Schriftsteller Nuto Revelli in seiner lectio magistralis anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Erziehungswissenschaften an der Universität Turin am 29. Oktober 1999: „Die Freiheit ist ein hohes Gut. Ohne Freiheit lebt man nicht, man siecht dahin. Ich konnte schreiben, weil ich hier geboren wurde. Der Faschismus blieb bei den letzten Häusern dort unten stehen. Am Weinberg war kein Platz. Wenn du beim Gehen durch die Weinberge oder die Wälder nachdenkst, so bist du von nichts anderem mehr beeinflusst; hier konnte ich denken und ich fand die Kraft, ein Partisan zu werden und Zeugnis abzulegen.“ Um dieses Gebiet verstehen zu können, ist es wichtig, seine jüngste Geschichte zu kennen. Die Erinnerung an diese Geschichte ermöglichte erst die Erlangung von Wohlstand, Erfolg und die Anerkennung durch die UNESCO.

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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„ALS ICH KLEIN WAR, GING ICH AUF DEM SCHULWEG DURCH DIE HÜGEL UND WEINBERGE. ZWISCHEN DEN REIHEN STANDEN OFT DIE CIABOT, KLEINE, GUT AUSGESTATTETE UNTERSTÄNDE, IN DIE WINZER UND BAUERN FLÜCHTETEN, WENN SIE ABENDS VON EINEM STURM ÜBERRASCHT WURDEN ODER MORGENS VOR SONNENAUFGANG AM WEINBERG SEIN MUSSTEN.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 50
Diese Worte stammen von Romano Levi, einem Branntweinbrenner aus Neive, den der Journalist Luigi Veronelli als „Grappaiolo Angelico“ bezeichnete – und zwar nicht nur aufgrund der Qualität des Grappas, sondern auch wegen der immer wiederkehrenden Figur auf den von ihm entworfenen Etiketten: eine durch die Augen eines Kindes gesehene wilde Frau, die die Hügel erklimmt. Die Langhe, den Roero und den Monferrato mit den Augen eines Kindes zu sehen, ist leicht. Zu einer Familientour gehören riesige Bänke und kleine Häuschen inmitten von Weinbergen – im Volksmund ciabot genannt –, märchenhafte Wege, Kunstwerke und bunte kleine Kirchen. Die Route beginnt in
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Neive, einem romantischen Dorf mit Kopfsteinpflastern, barocken Kirchen und Adelspalästen, darunter das Gebäude, in dem sich das Hausmuseum befindet, das der wilden Kunst von Romano Levi gewidmet ist: ein Kunststil, für den sich sowohl Erwachsene (die auch den berühmten Grappa zu schätzen wissen) als auch Kinder begeistern können. Die nächste Etappe führt uns in das Gebiet von Asti. Zunächst kommen wir nach
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Coazzolo und können hier die kleine, vom englischen Künstler David Tremlett bemalte Kirche besichtigen. Auf unserem Weg kommen wir durch die sanften Hügel des Monferrato, bis wir nach Costigliole d‘Asti und
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Bricco Lù gelangen. Hier kann man auf eine der zahlreichen, vom amerikanischen Designer Chris Bangle entworfenen Riesenbänke oder Big Benches steigen. Die Tour geht am linken Ufer des Tanaro weiter, nämlich in dem Gebiet, das als Roero bekannt ist: Eine Schlucht zieht sich durch dieses Gebiet und es wird von Weinbergen gesäumt, von denen viele von Ciabotbewacht werden: Für Kinder sind die Ciabots fantastische kleine Häuschen. In diesem Gebiet sind mehrere Familientouren innerhalb eines Freilichtmuseums möglich: im
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Ökomuseum der Rocche del Roero. Jeder Rundgang ist einem Thema gewidmet, und die Kinder können auf verschiedenen Pfaden ihren Spaß haben, z. B. auf dem Pfad der Spiele oder dem Pfad der Castagna Granda: Letzterer führt zu einem riesigen, über 400 Jahre alten Kastanienbaum, dessen Umfang mehr als 10 m beträgt. Vor der letzten Etappe lohnt sich ein Abstecher in das Dorf
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Monticello d’Alba in dem nicht nur ein imposantes Schloss steht, sondern das auch das Werk Frammenti von Valerio Berruti beherbergt, der für seine von Kindern inspirierte Kunst bekannt ist. Die Tour endet in
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Bra, wo das Museo del Giocattolo, auf Groß und Klein wartet, in dem die Geschichte des Spielens seit dem Ende des 18. Jhs. behandelt wird.
sito UNESCO nr. 50 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen zu den Weinanbaugebieten des Piemonts.

  • Feria d’agosto, Cesare Pavese (1946). In einer der drei Erzählungen schreibt Pavese über den Weinberg als den Ort, an dem „der erwachsene Mann, der ihn betrachtet, den Jungen wiederfindet“. Seine Erinnerung an die Weinberge seiner Kindheit ist von „Nostalgie und Hoffnung“ geprägt.
  • La malora, Beppe Fenoglio (1954). Die Geschichte spielt in einem sehr armen Land, in dem leidende Menschen wie die Hauptfigur Agostino leben. Diese Bauerngeschichte ist eine Erzählung über die dramatische Vergangenheit der Langhe.
  • Eine Privatsache, Beppe Fenoglio (1963). Der Widerstand aus der Sicht des Partisanen Milton und seiner Liebe zu Fulvia, die ihrerseits an Giorgio, einem anderen Partisanen, interessiert ist. Eine Privatsache führt Milton auf der Suche nach seinem Rivalen durch die Langhe, die von einer kollektiven Tragödie heimgesucht werden: dem Krieg.
  • Im Schatten der Hügel, Giovanni Arpino (1964). Stefano, die Hauptfigur des Romans, begibt sich auf eine Reise zu seinem Heimatort: Nach seiner Rückkehr kommen jedoch wieder alte Erlebnisse an die Oberfläche, mit denen Stefano sich auseinandersetzen muss, bis er zu einem neuen Bewusstsein gelangt.
  • I mè, Davide Lajolo (1977). „Eine unendliche Erzählung zwischen Langa und Monferrato“ lautet der Untertitel des Buches, in dem Lajolo die Geschichten seines Landes und dessen ländlichen Bevölkerung erzählt. Beschrieben wird der Mikrokosmos von Vinchio, einer kleinen Gemeinde zwischen Asti und Nizza Monferrato
  • Il mondo dei vinti, Nuto Revelli (1977). Diese Sammlung ungehörter Stimmen – jener Bauern der Langhe, die unter Krieg, Armut, Erschöpfung, Einsamkeit und Emigration litten – erinnert an eine Welt, die nicht mehr existiert, die aber nicht vergessen werden darf.
  • Vino al vino, Mario Soldati (1977). Auf seiner dritten Reise durch Italien auf der Suche nach echten Weinen reist der Journalist, Regisseur und Schriftsteller Mario Soldati durch die Provinzen Cuneo, Asti und Alessandria und erzählt die Geschichten der Winzer, die sich in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs der Industrialisierung des Weins widersetzt haben.
  • Di viole e liquirizia, Nico Orengo (2005). Der Wein und die Nase eines Pariser Sommeliers, der nach Alba kam, um ein Weinseminar abzuhalten, sind der Auftakt zu einer Geschichte, die reich an Aromen, Düften und Nuancen des Gebietes der Langhe ist. Dieses ist in der Lage, eine Vielzahl von Empfindungen zwischen Modernität und Tradition hervorzubringen.
  • Die Eisenbahnen Mexikos, Gian Marco Griffi (2022). Der für den Premio Strega 2023 (empfohlen vom Historiker Alessandro Barbero) nominierte epische Abenteuerroman (800 Seiten) ist schwer zu fassen: ein echter literarischer Fall. Er spielt in den Straßen von Asti und in den Hügeln des Monferrato.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Der Mond und die Feuer, Cesare Pavese (1950). Nach der Befreiung kehrt Anguilla nach vielen Jahren als Emigrant in Amerika auf der Suche nach seinen Wurzeln in ein kleines Dorf in den Langhe zurück. Sein Freund Nuto begleitet ihn auf dieser Reise durch die Zeit und die schmerzhaften Orte seiner Jugend.
  • Italienische Märchen, Italo Calvino (1956). Unter den 200 mündlich überlieferten, gesammelten und aus Dialekten übersetzten Märchen sticht Der Bart des Grafen hervor. Es spielt im Roero mit Masca Micilina als Hauptfigur. Die „Masche“ sind die Hexen in diesen Gebieten.
  • Johnny the partisan, Beppe Fenoglio (1968). Der junge Student Johnny beschließt, in die Hügel der Langhe zu gehen, um sich den Partisanen anzuschließen: So erzählt Fenoglio ein wichtiges Kapitel der italienischen Geschichte, das der Resistenza.
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